„Sepp Werkmeister, Doyen der deutschen Jazzfotografen“ – von Marcus A. Woelfle

Sepp Werkmeister in der radioJazzNacht 2016, Foto: Marcus Woelfle
Sepp Werkmeister,radioJazzNacht März 2016, Foto: Marcus Woelfle


Louis Armstrong, Miles Davis, John Coltrane

der Münchner Sepp Werkmeister, der am 29. März 2016 seinen 85. Geburtstag feierte, hat viele Giganten des Jazz auf eindrucksvollen Fotos verewigt.

Teilweise entstanden sie unter kuriosen Umständen, von denen der Doyen der deutschen Jazzfotografen mir im BR-Studio und bei sich zu Hause erzählt hat.

Zu Werkmeisters ersten Kindheitserinnerungen gehört das Weinen seiner Mutter über den Beginn des 2. Weltkrieges. In dieser schrecklichen Zeit entdeckt der 1931 geborene Sepp Werkmeister eine Musik, die ihm als „Gegenteil all der Nazipropaganda, der Marschmusik und das verordnete Zeug“ erschien: Jazz. Sein Bruder besaß ein Grammophon und viele Jazzplatten von Musikern wie Louis Armstrong, Joe Venuti, Benny Goodman. Nachts lauschten die Brüder immer im Kinderzimmer den Feindsender BBC und entdeckten den Sound der Freiheit, der damals meist in Gestalt des Bigband-Swing über den Äther ging. Gegen Ende des Krieges begann der zeichnerisch begabte Werkmeister eine Lehre in einem graphischen Betrieb. Da Louis Armstrong sein Idol war, wollte er spielen wie Satchmo. Daher tauschte er 1944 eine Fliegerjacke, die er aus einem abgeschossenen amerikanischen Bomber geholt hatte, gegen ein Kornett ein. Als seine Mutter das Geblase ihres Sohnes satt hatte, wechselte er einige Jahre später das Kornett im gleichen Geschäft gegen eine Rollei Ikoflex-Kamera ein.

Im Grunde seines Herzens aber ist er Musiker geblieben, denn sein Instrument, die Kamera, lässt Musik sichtbar werden; seine Bilder stammen von einem, der Empfinden und Lebenswelt der Musiker teilt, auch, wenn er sich meist nicht auf, sondern vor der Bühne aufhält und weiß, dass er von den sensiblen Musikern auch als Eindringling empfunden werden kann. Von Anfang an begrüßten ihn aber die Jazzmusiker als einen der ihren, und Werkmeister war mit vielen von ihnen lebenslang befreundet

Sepp Werkmeister 2016 im Bayerischen Rundfunk vor Beginn der radioJazznacht von Marcus A. Woelfle; Foto: Woelfle
Werkmeister 2016 im Bayerischen Rundfunk vor der radioJazznacht; Foto: Woelfle

Seine Kenntnisse in Sachen Jazz verdankt er nach dem Krieg vor allem Rundfunkprogrammen wie dem AFN Munich und den von ihm gesammelten V-Discs, eine Abkürzung, die für „Victory Discs“ stand. GIs führten sie zur moralischen Stärkung im Marschgepäck mit. Es waren Platten, die offiziell nicht im Handel zugelassen waren, doch nach dem Krieg landeten sie massenhaft in Deutschland auf dem Schwarzmarkt. Allerdings musste Sepp Werkmeister bis 1948 warten, bis ein großer amerikanischer Musiker, der Ellington-Kornettist, Rex Stewart in Deutschland auftrat. „Dann kamen Lionel Hampton, Count Basie und ich besuchte eifrig die Konzerte in Freddie Brocksiepers Studio 15 und so ging die Fotografiererei los,“ erinnert sich Werkmeister. Seine Jazzfotos brachten ihm zwar Weltgeltung ein, davon leben hätte er kaum können. Glücklicherweise startete er 1954 erfolgreich eine bis heute existierende Print-Medien-Firma.

2016_05_07__Sepp_Werkmeister_New-York_1968_Marcus_Woelfle_jourfixe-Blog
Werkmeister, 1968, Selbstportrait,
New York

1965 reiste Sepp Werkmeister, in Begleitung des deutschen „Jazzpapstes“ Joachim Ernst Berendt und des Posaunisten Albert Mangelsdorff, erstmals nach New York, eine Stadt, die er in den nächsten Jahren immer wieder besuchte.

Dort fotografierte er nicht nur Jazzmusiker, sondern er schuf auch berührende Momentaufnahmen aus dem Alltag von Greisen und Kindern, Geschäftsmännern und Obdachlosen.

Diese Fotos wurden im Sommer 2015 in der Ausstellung „Sepp Werkmeister New York 60s“ im Münchner Stadtmuseum präsentiert und wurden in einem gleichnamigen Fotoband bei Hirmer veröffentlicht.

New YorkBowery (Straße und Gegend im Süden Manhattens), 1968
New York Bowery 1968  Foto: Werkmeister; Quelle

Besonders beeindruckte ihn damals John Coltrane, der stilbildende Tenorsaxophonist der 60er Jahre, der damals das Idol nicht nur der jungen Free-Jazzer-Generation war. Werkmeister, der gewohnt ist, ziemlich nahe an die Musiker heranzutreten, stand direkt vor ihm, doch Coltranes Körper vibrierte in seiner Ekstase so stark, dass alle Fotos, die Werkmeister von Coltrane machte „eine gewissen Unschärfe“ haben – „was die Bilder nicht schlechter macht, mir aber heute nicht mehr passieren könnte mit der Digitalkamera. Die Empfindlichkeit auch der teuersten Kodakfarbfilme war damals noch zu gering.“ 

Ein unvergessliches Coltrane-Portrait gelang ihm dann doch, als er den Saxophonisten 1965, also zur Zeit seines spirituellen Meisterwerks „A Love Supreme“ während einer Spielpause knipste, als der Musiker selbstvergessen und abseits in einer dunklen Ecke stand. Coltrane selbst hat wohl nicht gemerkt, dass er fotografiert wurde. Eindrucksvoll ist hier der Blick jener Augen eingefangen, denen der Pianist Mal Waldron 1957 die Komposition „Soul Eyes“ gewidmet hatte.

Miles Davis auf dem New Port Festival, fotografiert von S. Werkmeister; Quelle
Miles Davis, New Port Festival 1974, Foto: Werkmeister;

Coltranes früherer Weggefährte Miles Davis wollte nicht fotografiert werden, während er auf der Bühne stand. „Die meisten hielten ihn für ein Scheusal. Es war nicht nur seine raue Stimme, die er sich einmal kaputt machte bei einer Operation, er behandelte seine Musiker zum Teil auch ganz übel. Aber alle, die mit ihm gespielt haben, haben unheimlich viel von ihm gelernt. Ich bin ihm x-mal begegnet und konnte zwischendrin eine ganze Reihe wirklich guter Fotos machen. Er war modisch immer ganz toll angezogen. Er hat seine eigene Kleidung entworfen. Ich bin mir da ganz sicher: Er hatte auch eine wahnsinnig empfindsame Seite, denn wenn du dir Balladen anhörst, weißt Du, es ist gar nicht anders möglich. Die zwei Seelen in einer Brust kann man bei ihm hören.“

Etwas Witziges passierte in den 70er Jahren im Münchner Domicile, als Dizzy Gillespie Werkmeister mitten im Konzert aufforderte „Give Me Your Camera“. Gillespie war nicht nur ein wegweisender Trompeter, sondern ein großer Entertainer und machte auf dem Bühnenboden liegend ein Foto des Fotografen – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft …

Legendär sind Sepp Werkmeisters zahlreiche Fotos von Duke Ellington, vor allem eines mit Zigarette, das die melancholische Seite des gealterten Bandleaders offenbart. Ich bin ihm immer wieder begegnet und er hat mir viele Fotos freundlich und nett signiert. Ich kam an ihn ziemlich nah ran.“ Einmal gab Ellington Werkmeister einen Blanco-Scheck für eine Fotobestellung mit den Worten: ‚Setze selbst den Betrag ein, Joe. I trust you.‘ Dass er ihn für 86 Dollar einlöste bedauert Werkmeister heute, nach über einem halben Jahrhundert, noch. Der Scheck wäre eine wunderbare Erinnerung und ein Museumsstück obendrein.

Ein berühmtes Duke-Ellington-Portrait von Sepp Werkmeister; Quelle
Ein berühmtes Duke-Ellington-Portrait von Sepp Werkmeister; Quelle

Betritt man Sepp Werkmeisters Wohnung, befindet man sich in einem kleinen Museum, nicht nur wegen der Jazzfotos. Hier eine Renaissance-Madonna, dort afrikanische Statuen, dazwischen Gemälde, die auch mal von Musikern stammen, z. B. vom österreichischen Saxophonisten Hans Koller, der seit den frühen 50er Jahren, als er einer der Giganten des europäischen Cool Jazz war, zu Werkmeisters besten Freunden gehörte. „Ich habe ihn früh kennen gelernt, als er noch mit Horst Winter spielte und meinte „No jo, bei dem bleib i net long.“

Joe Zawinul fotografiert von Sepp Werkmeister
Joe Zawinul fotografiert von Sepp Werkmeister; Quelle

Hinter jedem Bild steckt eine Geschichte und Sepp Werkmeister ist eine Schatztruhe an Anekdoten. Hier eine davon: Eines Abends trat bei einem Konzert ein noch unbekannter junger Wiener zu Hans Koller und sagte: ‚Na, Hans, manst i kannt a bissl spuin.`Hans meinte: ‚Najo, hock di hi und probier ma‘s.‘ Sie haben dann ‚All The Things You Are‘ gespielt oder so etwas ähnliches. Es hat aber nicht lange gedauert, da hat der Hans gesagt: ‚Halt! Jetzt sog I da ans. Jetzt gehst ham und leanst es richtig und kommst wieder.‘ Der angehende Pianist war Joe Zawinul!

(Marcus A. Woelfle, April 2016)


Weitere (Jazz)Beiträge von Marcus A. Woelfle > LINK



Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.com

Hinterlasse einen Kommentar

Entdecke mehr von Gaby dos Santos

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen