„Mitten im geschäftigen Treiben unserer Hauptstadt, in einem grünen Ausläufer des Stadtparks Tiergarten befindet sich ein Ort, der die Besucher in die Stille zwingt. Es handelt sich um ein Mahnmal, das an die etwa 500.000 Männer, Frauen und Kinder erinnert, die während des Dritten Reiches unter dem Sammelbegriff „Zigeuner“ europaweit verfolgt und ermordet worden sind: Lalleri, Lowara, Calé oder Manusch, betroffen waren zudem auch Jenische und andere Fahrende sowie, als die größten betroffenen Volksgruppen, die Sinti und Roma.
Geschaffen hat es der jüdische Landschaftsarchitekt und Bildhauer Dani Karavan. Den Mittelpunkt der Anlage bildet ein kreisrundes Wasserbecken. Die schwarze Farbe, mit der es ausgemalt ist, steht für „Ewigkeit“. Im Zentrum ankert eine dreieckige Stele, deren Form den Winkeln auf der Kleidung der KZ-Häftlinge nachempfunden ist.
Auf ihr liegt eine stets frische Blume, die sowohl ‚Leben‘, wie auch ‚Trauer‘ symbolisiert … und ‚Erinnerung‘ „, heißt es im Skript von Nächster Halt Auschwitz!
Die metallene Einfassung der Wasserschale birgt das Gedicht »Auschwitz« des italienischen Roma-Musikers, Komponisten und Hochschullehrers Santino Spinelli. In deutscher und englischer Fassung säumt es den See. Am Rande der Chronologie ist es außerdem in zwei unterschiedlichen Dialekten des Romanès zu lesen.
Dani Karavans Werk besticht durch solcherart Details: So verweisen flach am Boden liegende, gebrochene Steine auf die Schauplätze des Leidens, an denen Sinti und Roma, Jenische und Fahrende, unter dem Sammelbegriff „Zigeuner“ der Maschinerie des Holocaust zum Opfer fielen.
Landkarte des Schreckens kombiniert mit beschrifteten Steinfragmenten des Holocaust-Denkmals der Sinti & Roma in Berlin Bildcollage von Gaby dos Santos aus Nächster Halt Auschwitz! – > LINK zur KARTE (www.sintiundroma.org)
Die „Stiftung Denkmal“ in Berlin, die auch dieses Mahnmal kuratiert, hat zu diesem einige ebenso visionäre wie zu Herzen gehende Aussagen Dani Karavans veröffentlicht, nachstehend Zitate:
… Habe ich in mir die Kraft, einen Ort des Nichtszu erschaffen? An dem es nichts gibt. Keine Worte, keine Namen, kein Metall, keinen Stein. Nur Tränen, nur Wasser, umringt von den Überlebenden, von jenen, die sich des Geschehenen erinnern, von denen, die das Grauen kennen, und anderen, die es nicht kannten. Sie alle spiegeln sich hier, auf dem Kopf stehend, im Wasser der tiefen, schwarzen Grube, während der Himmel sie bedeckt – das Wasser, die Tränen.
Nur ein einzelner kleiner Stein, der versinkt und emporsteigt, wieder und wieder, Tag für Tag. Und auf ihm jeden Tag eine neue kleine Blüte, um sich jedes Mal aufs Neue zu erinnern, in Erinnerung zu rufen, unentwegt, bis in alle Ewigkeit. Das Wasser umfängt den Himmel, den blauen, den grauen, den schwarzen Himmel. Die Wolken, das Licht, das Dunkel. Alles wird verschlungen vom wirbelnden Wasser.
Allein der Klang einer einsamen Geige ist geblieben von der gemordeten Melodie, schwebend im Schmerz„.
Genau das fasziniert mich an diesem Denkmal besonders: Es bedient ALLE Sinne: „… allein der Klang einer einsamen Geige…“
Dementsprechend wird die Gedenkstätte durch eine Klanginstallation in Endlosschleife beschallt, komponiert von dem Sinto-GeigerRomeo Franz, der zudem, als erster seines Volkes, für DIE GRÜNEN einen Sitz im Europaparlament innehat.
Auch Informationen, in Form von Fotos und Biografien der Opfer sind Bestandteil des Mahnmals. Das Foto von Markus Priske stammt von der Homepage der > Stiftung Denkmal. Für das Historical Nächster Halt Auschwitz! wurde es durch ein Bild des Sinto-Musikers Romeo Franz ergänzt, dem Komponisten der Klanginstallation
Genannt hat er sein Stück „Mare Manuschenge“ > Romanes für „Unsere Leute„, denen er es widmete. Eingespielt hat Romeo Franz es, wie er in einem O-Ton-Beitrag für die Produktion schildert, …
Links Romeo Franz am Eingang des Denkmals, rechts sein in Auschwitz ermordeter Onkel Paul, der auch Geiger war
„… mit dem Geigenbogen meines in Auschwitz ermordeten Onkels Paul Franz (…)“
… und …
„Ich spiele dieses Lied niemals auf Konzerten, weil ich es nur für das Andenken an unsere Menschen komponiert habe.„
„Der Geigenton folgt einer Molltonleiter, die der traditionellen Musik der Sinti zugrundliegt und auch im modernen Sinti-Jazz und Sinti-Swing charakteristisch ist“. (…) > Stiftung Denkmal
Video des kompletten O-Tons von Komponist Romeo Franz zur Entstehung der Klanginstallation „Mare Manuschenge“, kombiniert mit Bildcollagen von Gaby dos Santos zum Mahnmal > Link in Kürze
Bevor jedoch überhaupt an ein eigenes Mahnmal zu denken war, ging es für die Sinti und Roma um etwas ganz Existenzielles: Den Kampf um ihre Rechte als deutsche Bürgerinnen und Bürger. Ab Kriegsende erwartete sie eine jahrzehntelange Odyssee durch das Gewirr bundesrepublikanischer Instanzen; eine viel längere als für andere Opfergruppen des Holocaust. Zunächst verweigerte man ihnen nämlich sogar die Anerkennung als Verfolgte des NS-Regimes; wies ihnen vielmehr für das erlittene Leid sogar noch die Schuld zu:
„Sie [die ‚Zigeuner‘] neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien; es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremden Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist …
Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Januar 1956
Mit der Errichtung eines eigenen Mahnmals erhielten die Sinti & Roma, Jenischen und Reisenden endlich die nunmehr auch in Stein gemeißelte Anerkennung des Martyriums ihrer Angehörigen im Holocaust – und einen Ort, ihrer zu gedenken …
Ungetrübt blieb die Freude über das eigene Denkmal allerdings nicht allzu lange: Ab 2020 drohte das Denkmal, das Karavan ausdrücklich als einen Ort der inneren Anteilnahme konzipiert hatte, sich wieder in eine Baustelle zu verwandeln, mit Schutt und Lärm statt stiller Andacht! Bei der Planung war schlichtweg übersehen worden, dass eine neue S-Bahnstrecke gebaut werden soll, deren Verlauf mit der Lage des Mahnmals kollidieren würde!
Die geplante Baustelle wird weit über die Hälfte des Geländes umfassen. Eine solche umfassende Beeinträchtigung des Gedenkens ist für die Überlebenden und ihre Familien, war und ist für den Zentralrat unvorstellbar“,
Auch die namhafte Hildegard-Lagrenne-Stiftungfür Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland, meldete sich mit einem Brandbrief zu Wort:
Wer deren Ruhe stört, ermordet die Opfer ein zweites Mal
Der Ausgang dieses stadtplanerischen Debakels ist zum Zeitpunkt meines Blogbeitrags, am 24.5.2023, noch immer offen!
Dafür schockte diese Woche die Nachricht eines Anschlags auf das Mahnmal die Öffentlichkeit:
“ … Der Täter hatte nach Angaben der Polizei am Mittwochmittag mit einer Eisenstange auf die Informationstafeln am Denkmal eingeschlagen und eine Ausstellungstafel beschädigt. Das Denkmal wird jährlich von etwa 100.000 Menschen besucht.
Der Anschlag wurde am helllichten Tag vor den Augen vieler Besucher verübt. Diese hatten die Polizei alarmiert. …“ >>>
In o.g. Produktion setze ich dieses Mahnmal, auf Grund seiner symbolischen Bedeutung, als roten Faden ein: Ähnlich einem Bühnenbild stellen Ansichten des Mahnmals die Grundlage zu den Bildcollagen, die mit wechselnden Fotos, Grafiken und Dokumenten sowie Untertiteln ausgestaltet werden, um die Texte und Musiken der Produktion zu illustrieren.
Nachstehend einige Bild-Beispiele aus der Produktion, in denen das Mahnmal, mal mehr, mal weniger prominent integriert ist:
Auch akustisch greift die Produktion auf das Mahnmal zurück, indem immer wieder Zitate der Klanginstallation „Mare Manuschenge“ eingespielt werden, zur atmosphärischen Untermalung von Text-, Bild- und Musikpassagen.
Foto: Am Tag der Einweihung, dem 24.10.2012, am Mahnmal: Romeo Franz, Komponist von Mare Manuschenge