Er leidet, schreit, windet sich zu Boden –
Er kehrt sein Innerstes nach außen und zieht alle Register seiner schauspielerischen Ausdrucksmöglichkeiten: Dennis Fell Hernandez, einer der Romeo-Interpreten in der Theater-Collage nach Shakespeares Romeo & Julia, die die inklusive Freie Bühne München (FBM) in diesem Jahr mit ihrem Ensemble aus DarstellerInnen mit und ohne Behinderung präsentiert.



Große darstellerische Wucht legte Dennis Fell-Hernandez in seine Romeo-Interpretation
Diese Romeo-Interpretation von Dennis Fell Hernandez im Finale empfand ich, wie bereits seinen WOYZECK von 2019, als Gänsehaut pur und als exemplarisch für die Chancen, die das Konzept dieses inklusiven Theaters in sich birgt:
Ein Theater, in dem sich DarstellerInnen mit und ohne Behinderung gleichermaßen einbringen und ihre Persönlichkeiten zu einem vielschichtigen neuen Ganzen vereinen.
Zitat auf der Homepage der inklusiven Freie Bühne München (FBM)


Die kultige Balkonszene aus „Romeo+Julia“ einmal ganz anders umgesetzt – mit Lena Flögel als Julia –
„Romeo“ David Martinez Morente glänzt dabei mit Aussdrucksstärke ebenso, wie mit Akrobatik
Das Ensemble zeichnet in der diesjährigen Produktion Shakespeares unsterbliche Romanze ohne Happy End im Zeitalter von Instagram & Co. nach, in Momentaufnahmen großer Intensität und humorvoller Dialoge, letztere für meinen Geschmack ein wenig inflationär eingesetzt, doch quittiert mit viel Lachen und Beifall aus dem Publikum.

rechts die Julias (v.l.) Mara Widmann, Natalie Lehmann, Lena Flögel
Rechts und links die Gebärdendolmetscherinnen Simone Hofmüller und
Susanne John Wuol, die mit ihrer Gestik eigene dramaturgische Akzente setzten
Originell gestaltet sich der Auftakt des Stücks, bei dem alle Mitwirkende, in Form von Projektionen im Social-Media-Stil, als Romeo respektive Julia, Verona, Italy erscheinen. Eine bestechende Regie-Idee, die ich mir daher im Verlauf des Stückes fortgeführt gewünscht hätte, und zu der Dramaturgin Florentina Ileana Tautu im nachstehend verlinkten Programmheft erläutert:
„In unserer inklusiven Inszenierung erleben wir Romeo+Julia als Spiegelbild für den vorherrschenden Zeitgeist. Junge Menschen geraten immer mehr unter Druck, sich mit ihrer äußeren Darstellung auseinander zu setzen. Auf allen Ebenen ist die Technik so fortgeschritten, dass wir uns je nach Lust, Laune und Mode verwandeln können. Schrill, trashig, schick. Der Mensch dahinter scheint unsichtbar. Doch das Aufblühen der Sehnsucht nach Liebe und Geliebt Werdens, und der mächtige Schmerz, wenn die Liebe enttäuscht wird, nicht gelebt werden kann – das trifft auch sie … bei aller Coolness.


Liebe in Social Media Zeiten: Projektionen von „Julia“ alias Mara Widmann bzw. Natalie Lehmann,
daneben die Gebärdendolmetscherinnen Simone Hofmüller und Susanne John Wuol
In unserer inklusiven Inszenierung erleben wir Romeo+Julia als Spiegelbild für den vorherrschenden Zeitgeist. Junge Menschen geraten immer mehr unter Druck, sich mit ihrer äußeren Darstellung auseinander zu setzen. Auf allen Ebenen ist die Technik so fortgeschritten, dass wir uns je nach Lust, Laune und Mode verwandeln können. Schrill, trashig, schick. Der Mensch dahinter scheint unsichtbar. Doch das Aufblühen der Sehnsucht nach Liebe und Geliebt Werden, und der mächtige Schmerz, wenn die Liebe enttäuscht wird, nicht gelebt werden kann – das trifft auch sie … bei aller Coolness.




In unserer Stückbearbeitung verkörpern alle Darstellerinnen Julia und alle Darsteller sind Romeo. So werden einzelne Facetten des ersten intensiven Liebeserlebens verhandelt und durchgespielt, mit Instagram-Filtern, Bass und Trash.“
Diese Mehrfachbesetzung von Charakteren findet sich bereits in früheren Inszenierungen der FBM, als kongeniales Stilmittel zur Darstellung der Zerrissenheit eines WOYZECK (2018) und PEER GYNT (2021). Angesichts der charakterlichen Eindeutigkeit die Shakespeare seinem Liebespaar zuschreibt und deren durchweg konsequentes Handeln, verstehe ich den Sinn einer Mehrfachbesetzung in dieser Produktion allerdings nicht ganz, Facettenreichtum der Liebe hin oder her – zumal die auch nicht das einzig bedenkenswerte Thema dieser Tragödie darstellt ..?

Foto: Freie Bühne München > AKTUELL
Andererseits hat sich Regisseur Ulf Goerke mit seiner gefeierten PEER GYNT Inszenierung vom letzten Jahr die Latte selbst sehr hoch gelegt. Daher bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ich hier auf hohem Niveau kritisiere. Zugegebenermaßen bin ich inzwischen verwöhnt, punktet doch die FBM seit nunmehr sieben Jahren zunehmend – bei Kritik und Publikum gleichermaßen – mit ihrer Vision einer grenzenlos divers gehaltenen Bühne, deren BetreiberInnen zugleich einen hohen Anspruch an künstlerische Qualität setzen. „Professionalität“ wird entsprechend großgeschrieben und gilt als Leistungsmaßstab sowohl für DarstellerInnen OHNE als auch MIT Behinderung. Letztere erhalten an dieser Bühne zudem die bislang einzige deutschlandweite Möglichkeit einer Schauspielausbildung.
Wie vorteilhaft sich dieses Prinzip des „Forderns und Förderns“ bewährt, zeigt die Entwicklung der AbsolventInnen der FBM-Schauspielschule, allen voran die Karriere, die Luisa Wöllisch in KINO, TV und auf der Theaterbühne innerhalb weniger Jahre hingelegt hat, und von der nicht wenige SchauspielerInnen auch OHNE Behinderung so nur träumen können > Roter Teppich für Luisa Wöllisch.

Auch den beiden FBM-Elevinnen Natalie Lehmann und Lena Flögel kommt das Ausbildungskonzept der FBM ganz offensichtlich zugute, angesichts der mitreißenden Spielfreude, mit der sie die Herausforderungen eines Kultklassikers wie Romeo+Julia meistern.



Lena Flögel (blond) und Natalie Lehmann absolvieren eine Schauspielausbildung an der Akademie der Freien Bühne München und stehen zugleich schon im zweiten Jahr auf der FBM-Bühne
Dass der Auftritt am heutigen 20.10.2022 die beiden jungen Frauen und ihre Ensemble-KollegInnen in die Heiligen Hallen der – !ausverkauften – Kammerspiele München und somit zum Staatstheater führt, überrascht da auch nicht mehr wirklich 😉

Georg Stephans Optik verkörpert DEN ROMEO par excellence!
„Eine Stunde fesseln die 6 Darsteller mit und ohne Handicap die Gäste des Premierenabends.
Unglaublich, was Angelica Fell (red. Anm.: … gemeinsam mit Marie Elise Fell, Foto links) geleistet hat, seit ihr Sohn, geboren mit dem Down Syndrom, den Wunsch äußerte, Schauspieler zu werden. Da es keine Möglichkeit gab ihm den Wunsch zu erfüllen gründete sie 2013 das inklusive Ensemble der Freien Bühne München e.V. Jedes Jahr gibt es nun eine neue Aufführung auf die die vielen engagierten Mitarbeiter und das Ensemble hinarbeiten. (…)“
Zitat aus „Der Musikjournalist“ von Erika Urban > www.dermusikjournalist.de
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Weitere Termine von „Romeo und Julia“ der FBM

20. Oktober 2022, 20:00 Uhr
Münchner Kammerspiele, Werkraum
Tickets: Theaterkasse, Maximilianstraße 26-28, Mo-Sa: 11:00 – 19:00 Uhr
Tel.:089 / 233 966 00 oder theaterkasse@kammerspiele.de
mit Gebärdensprachdolmetschung
28. Oktober 2022, 19:30 Uhr
brechtbühne im Gaswerk, Staatstheater Augsburg
Tickets: unter Tel. 0821 324-4900
E-Mail: tickets@staatstheater-augsburg.de
30. Oktober 2022, 19:30 Uhr
Kleines Theater Haar-
Tickets: unter Tel. 089-890569811 und auf reservix
mit Gebärdensprachdolmetschung
04. November 2022, 20:00 Uhr
schwere reiter Theater, München –
Tickets: www.schwerereiter.de
05. November 2022, 20:00 Uhr
schwere reiter Theater, München –
Tickets: www.schwerereiter.de
mit Gebärdensprachdolmetschung
10. November 2022, 19:00 Uhr
Kulturhaus bosco, Gauting
Tickets: Theaterforum Gauting e.V. im bosco ‚
Tel.: 089 45 23 8580 oder E-Mail: info@bosco-gauting.de
oder aktionsplan@lra-starnberg.de
mit Gebärdensprachdolmetschung und anschl. Publikumsgespräch
12. November 2022, 19:00 Uhr
HAUS ZWEI im Schauspielhaus Graz
Inklusives Tanz-, Kultur- und Theaterfestival InTaKT
Tickets: ab 20.9. https://schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
mit Gebärdensprachdolmetschung
Perlentränen, Standing Ovations und Abschiede bei der PEER GYNT Derniere der Freien Bühne München im frisch renovierten Schwere Reiter
Während das Publikum sich zu Beifallsstürmen erhob, flossen bei Natalie Lehmann, Ensemble-Mitglied in der PEER GYNT Produktion, die Tränen … Dieser Moment berührte mich nachhaltig, gewissermaßen als Schlussakkord einer von Komik und Drama gleichermaßen geprägten…
Keep readingSieben Seelen wohnen, ach, in Peers Brust – Impressionen im Vorfeld der Premiere von PEER GYNT nach Henrik Ibsen, der inklusiven Freien Bühne München, am So, 8.10., Black Box im Gasteig
Diesen PEER GYNT gibt es gleich sieben Mal … Einleuchtend in einem Theaterstück, das von der Suche eines jungen Mannes nach sich selbst erzählt. Dessen Zerrissenheit spiegelt sich in der sehr unterschiedlichen Typografie der PEER…
Keep readingDie Freie Bühne München (FBM)
Als erstes inklusives Theater in Bayern bereichert die Freie Bühne München seit 2014, das kulturelle Leben nicht nur in München sondern auch durch Gastspiele auch in der gesamten Großregion. Das Selbstverständnis der Mitglieder lautet: Schauspieler,…
Keep reading2020: Fünf Jahre Bühnenzauber mit der inklusiven Freien Bühne München – Ein Rückblick im Vorfeld der nächsten Premiere
Die Titelcollage von Gaby dos Santos zeigt Pressefotos (Johann Miedl) von FBM-Inszenierungen seit 2015 (unten rechts) bis 2019 oben links, im Uhrzeigersinn< Die Chronik der Freien Bühne München blickt in diesem Jahr auf eine 5jährige…
Keep reading„Frangiskos träumt von Hollywood“: BR-Beitrag von jourfixe-Mitglied Constanze Hegetusch über die inklusive Freie Bühne München
TV-Reportagen mit besonders filigranem Fingerspitzengefühl zeichnen unser jourfixe-Mitglied Constanze Hegetusch aus (zu sehen rechts außen in der Titelcollage ). Gerade hat sie einen neuen Beitrag für die BR-Sendereihe „Stationen“ produziert, in dem es um die inklusive…
Keep reading„Alter Stoff neu interpretiert“ – SZ-Rezension zur „LULU“-Aufführung der inklusiven Freien Bühne München, von Blanche Mamer, Ref. 10.11.19 – Theater in Gauting
Die aus Tutzing stammende Protagonistin Luisa Wöllisch spielt die Hauptfigur betont selbstbewusst Auch wenn man Luisa Wöllisch in dem Film „Die Goldfische“ gesehen hat, in dem sie die Franzi spielt, ein Mädchen mit Down-Syndrom, konnte…
Keep reading„LULU“ nach Wedekind der Freien Bühne München noch 3 mal in München: AZ-Kritik von Mathias Hejny
Nur noch drei mal besteht die Gelegenheit, sich die rauschhafte „Lulu“-Inszenierung der inklusiven Freien Bühne München anzusehen. Kritik von Mathias Hejny, AZ s. obiges Beitragsbild Zum Stück: LULU ist eine verführerische Frau, der die Männer (und…
Keep readingRoter Teppich für Luisa Wöllisch, Ensemble-Mitglied der inklusiven Freien Bühne München und Hauptdarstellerin mit Tom Schilling u.a. in der Komödie mit Tiefgang „Die Goldfische“
Fast wie ein Märchen aus einem Hollywood-Blockbuster: Luisa Wöllisch, die erste Schauspielerin mit Downsyndrom, die an der inklusiven Freien Bühne München ausgebildet wurde, ergattert eine Hauptrolle in der Komödie mit Tiefgang „Die Goldfische“, bei deren…
Keep reading„Milton’s Tower – oder die schönheit der dinge“ – Besuch bei Proben zum inklusiven Bühnenstück der Freien Bühne München
j „Das ist unser Leuchtturm und er ist wunderschön, weil hier das Gras unter all den Sternen leise schläft.“ heißt es im Theaterstück „MILTON’S TOWER – oder die schönheit der dinge“. Die Poesie der obigen…
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Liebe ist der mächtigste Antrieb für Glück: Angelica Fell und ihre Freie Bühne München„
> Link
Mit:
Dennis Fell-Hernandez, Lena Flögel, Natalie Lehmann, David Martinez Morente, Georg Stephan, Mara Widmann
Regie: Ulf Goerke
Regieassistenz: Hannah Remmel
Dramaturgie: Florentina Ileana Tautu
Ausstattung: Marie Jaksch
Ausstattungsassistenz: Thalia Schoeller
Musik: Enik
Gebärdensprachdolmetschung: Simone Hofmüller und Susanne John Wuol
Tourmanagement/Technik: Jan Meyer
Backstage Begleitung: Claudine Denario
Technik-Assistenz: Malte Buhr
Grafik-Design: Felix Kempf
Pressearbeit: Barbara Fleischmann-Tarabochia
Produktionsleitung: Angelica Fell und Marie-Elise Fell