Wir schreiben den Sommer 1961. Wen es zu dieser Zeit nach „Bella Italia“ zog, der musste echten Sportgeist zeigen: Es galt nämlich, die Alpen zu überqueren – und zwar, nix mit Tunnel – über Serpentinstraßen, die sich in endlosen Schleifen die Berge hoch und dann wieder hinunter wanden, bis so mancher Magen und Motor streikte …

Das lag nicht zuletzt daran, dass man sich in jenen Jahren in eher kleinen Autos fortbewegte, VW-Käfer oder FIAT 500, „Enten“ etc. Ein mehr an Fortbewegungsmitteln konnten sich die Durchschnittspaare und Familien damals noch nicht leisten.

Auch mein Onkel und meine Tante nahmen 1961 erstmals die Herausforderung einer Italien-Reise über die Alpen an, stilgerecht in einem FIAT 500, der jahrzehntelang als DAS italienische Vehikel überhaupt galt. Ihr Ziel war zunächst Varese, wo gerade meine Eltern mit mir hingezogen waren, weil mein Vater einen Job als Physiker im Forschungszentrum EURATOM in Ispra ergattert hatte. Damals ahnten sie nicht, dass ihnen diese Gegend während der kommenden 55 Jahre zur Heimat werden würde …

Also lernte ich bereits als Dreijährige zwangsläufig auch Italienisch zu sprechen und assimilierte viel des dortigen Lifestyles. Auf obigem Foto trage ich das Kittelchen, das damals in italienischen Kindergärten üblich war, rosakariert für die Mädchen und hellblaukariert für die Buben.
Nachdem wir unser neues Häuschen vorgeführt hatten, das im Kellergeschoß sogar noch über ein Plumpsklo verfügte und dessen Badezimmer – für meine Eltern zunächst exotisch – mit einem Bidet ausgestattet war, ging es weiter ans Meer.

Der eigentliche Protagonist dieser Reminiszenz, der kleine FIAT auf dem Foto, schaffte es tatsächlich noch weiter bis an die Adria! Im Hintergrund die damals typischen, sehr schlicht gehaltenen Umkleidekabinen zu erkennen. Deren hölzerner, mit Sonnenöl durchtränkter Geruch steht für mich bis heute für unbeschwerte Standurlaube. Damals erwischten wir wohl die Haupturlaubszeit für unseren Trip ans Meer, denn in der Zeit um Ferragosto (um den 15. August herum) drägte – und drängt sich noch immer – ganz Italien an den Stränden. Wer es sich leisten konnte, unterhielt damals eine Zweitresidenz, egal wie klein, direkt am Meer. Frau und Kinder verbrachten dort en bloc die dreimonatigen Schulferien, die bis zum 1. Oktober andauerten. Die Väter gesellten sich an den Wochenenden und vor allem Mitte August dazu.

Schon damals hielt ich offensichtlich lieber den Kopf hin – und in die Kamera – als ihn in den Sand zu stecken 😉 Wer mich damals einbuddelte, weiß ich nicht, aber ganz offensichtlich machte ich mir so meine Gedanken, wie ich diese ungewohnte Lage eigentlich finden sollte.
Weitere Fotos, die hier nicht abgebildet sind, zeigen Onkel, Tante und meine Eltern fröhlich am Strand. Vor Kurzem hätten sie mich noch sehr traurig gestimmt, weil mein Vater nicht mehr lebt, doch lerne ich gerade, Vergänglichkeit aus einer neuen Perspektive wahr – und anzunehmen.
Beim Betrachten der Momentaufnahmen dieser vier jungen Menschen empfinde ich viel Zärtlichkeit. Jung sind sie, so scheinbar unbeschwert jung wie auch ich mal war und umso vieles jünger, als ich jetzt bin. Dazwischen liegt die Fülle ihrer ganzen Leben.
Es berührt mich sehr, sie anzusehen und vergeblich in meinem Gedächtnis nach einem Pendant zu diesen Szenen zu suchen. Veröffentlichen möchte ich diese persönlichen Fotos nicht, zumal ihr Anblick für unsere Familien alles, für Außenstehende jedoch kaum etwas bedeutet …
Gaby dos Santos, 20.4.2022
Zu verdanken habe ich diese, im Nachgang betrachtet, so wertvolle Italien-Retrospektive meiner Kusine Katja Lanz, die mir die Fotos geschickt hat, die ihr Vater Heinz Blässer seinerzeit aufgenommen hat. Ein dickes Dankeschön dafür an alle Beiden! 🙂
- An eine Begebenheit aus dieser Zeit erinnere ich mich aber doch noch aus den Erzählungen meines Vaters: Eines Tages entdeckte mein Onkel eine italienische Schlagzeile, in der „Berlino“ vorkam. Da dies unsere Heimatstadt war, in deren Westteil zudem alle Großelternteile lebten, war ihm der Name ins Auge gestochen und er fragte nach der Bedeutung von „Cortina die Ferro„.

- „Cortina di ferro“ bedeutet „Eiserner Vorhang“ …
Soeben war, während wir ausgelassene Sommertage verbrachten, die Mauer errichtet und unser Berlin zweigeteilt worden …
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