Kalte Sachlichkeit –
Die Konferenz dauerte 90 Minuten. Es gab keinen Beschluss. Aber 15 Männer in hohen Ämtern, acht mit Doktortitel und nur zwei ohne Abitur, haben das Morden im Osten, das längst im Gang war, legalisiert und bürokratisiert.
„Das Besondere an der Konferenz liegt darin, dass es sich um eine Staatssekretärskonferenz handelt – d.h. eine Konferenz auf Regierungsebene. Der Holocaust als ein Staatsverbrechen, ein von der Regierung organisiertes Verbrechen, arbeitsteilig zusammen mit der SS. Das wird dokumentiert und das ist die besondere Bedeutung. Wahrscheinlich gibt es andere hochranginge Treffen in den Monaten davor und danach, von denen wir auch gerne die Protokolle hätten, die es aber nicht mehr gibt. Das ist aber hier der Fall, wo man auch eine große Zahl von Verantwortlichen in den Blick bekommt.“
Historiker Peter Longerich in einer TV-Dokumentation bei Phoenix
So. Was einte diese Männer? Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben von Millionen war die Grundierung und hinzu kam charakterlich ein Merkmal ihrer Generation, das der als „kalte Sachlichkeit“ bezeichnete. Juristische Normen und eine Versachlichung der Sprache waren typisch. Gas brauchte nicht erwähnt zu werden. Natürliche Selektion durch Arbeit oder „entsprechend behandelt“ reichte auch.
Der geplante Mord an 11 Millionen europäischen Juden musste nur in geordneten Bahnen verlaufen.
Danach hat SS Obergruppenführer Reinhard Heydrich zum Frühstück mit anschließender Zigarre und Cognac gebeten.
Es galt zuvor, die Organisation des Mordens zu straffen und gleichzeitig die eigene Karriere im Auge zu behalten. „Der sogenannte Führer gibt bestimmte Signale, gibt zu erkennen, dass er nun noch radikalere Vorschläge wünscht, und seine Untergebenen produzieren diese radikalen Vorschläge – in einer gewissen Konkurrenz zueinander. Aber natürlich hat er als die höchste Autorität in diesem Staat dann auch das letzte Wort.“
Hitler hat in diesem Winter 1941/1942 besonders oft von der Vernichtung der Juden gesprochen, die Herren im Gästehaus der SS kamen seinem Wunsch nach. Mitleidlos.
„Das sind normale Menschen, die sind nicht krank und die sind in der Lage, das zu beschließen: Wir wollen nun gemeinsam dafür Sorge tragen, dass 11 Millionen Menschen ermordet werden.“
Der Historiker Götz Aly in einer aktuellen ZDF-Dokumentation

Adolf Eichmann führte Protokoll, Sonderboten stellten die 30 Abschriften geheim zu. Götz Aly: „Zum einen kam es darauf an, möglichst alle Reichsverwaltungen zu integrieren. Im Protokoll der Wannsee-Konferenz ist es genau bezeichnet, als Parallelisierung der Linienführung. Also, dass alle mitmachen. Das andere ist, auch die Reichsverwaltung insgesamt zu informieren, ins Bild zu setzen und zu sagen ‚das machen wir jetzt. Ihr macht da mit'“.
200.000 Menschen waren als Täter direkt am Holocaust, an der Shoah beteiligt. Die meisten wurden nie belangt. So auch in diesem Fall. Sechs der 15 Schreibtischtäter der Wannseekonferenz kamen ungeschoren davon. Bis in die 60er Jahre hinein interessierte die Justiz sich nicht für sie, obwohl das Protokoll bereits 1947 gefunden wurde. Erst mit dem Eichmann-Prozess in Jerusalem änderte sich die Situation etwas.
Dass heute noch sehr betagte Täter vor Gericht stehen, hat eher Symbolcharakter, soll wieder gut machen, was eine ganze Generation von Juristen verweigert hatte.
Die Wannsee-Konferenz zeigt, wozu eine Staatsbürokratie fähig ist.
Ein Menetekel? Eine Mahnung!
Götz Aly: „Diesen bislang völlig einmaligen Vorgang, dass die das am Schreibtisch so in schöner Atmosphäre am Wannsee beschließen, das hat es bislang noch nicht gegeben, sich dem auszusetzen, dass das möglich ist, dass das eine menschliche Möglichkeit ist. Der Mord an den europäischen Juden ist bislang einmalig, aber eben nur bislang.“
Maria Ossowski
Kulturkorrespondentin für die ARD bei RBB Rundfunk Berlin Brandenburg

Die Wannseekonferenz – Die Dokumentation

Die ZDF-Dokumentation,
u.a. mit Götz Aly,
ist in der > ZDF-Mediathek abrufbarund MO, 24. Januar 2022, um 22h, im ZDF zu sehen
Teilnehmer der Wannsee-Konferenz:
- Reinhard Heydrich (SS-Obergruppenführer, Hauptredner und Vorsitz)
- Adolf Eichmann (SS-Obersturmbannführer, Protokollführer)
- Josef Bühler (Staatssekretär im Amt des Generalgouverneurs in Krakau)
- Roland Freisler (Staatssekretär im Reichsjustizministerium, später Präsident des Volksgerichtshofs)
- Otto Hofmann (SS-Gruppenführer, Chef des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS)
- Gerhard Klopfer (Ministerialdirektor in der Parteikanzlei der NSDAP, Leiter der Staatsrechtlichen Abteilung III)
- Friedrich Wilhelm Kritzinger (Ministerialdirektor in der Reichskanzlei)
- Rudolf Lange (SS-Sturmbannführer, Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für Lettland in Vertretung seines Befehlshabers Walter Stahlecker)
- Georg Leibbrandt (Reichsamtsleiter, Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete)
- Martin Luther (Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt)
- Alfred Meyer (Staatssekretär im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete)[32]
- Heinrich Müller (SS-Gruppenführer, Chef des Amtes IV (Gestapo) des Reichssicherheitshauptamtes)
- Erich Neumann (Staatssekretär im Amt des Beauftragten für den Vierjahresplan)
- Karl Eberhard Schöngarth (SS-Oberführer, Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement)
- Wilhelm Stuckart (Staatssekretär im Reichsministerium des Innern)
Zudem waren noch weitere Vertreter von Reichsministerien und sogenannten Obersten Reichsbehörden eingeladen. Einige davon hatten jedoch ihre Teilnahme abgesagt, z. B. Leopold Gutterer, Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Er nannte terminliche Gründe für seine Absage, bat aber darum, über alle Folgetermine unterrichtet zu werden.