Während das Publikum sich zu Beifallsstürmen erhob, flossen bei Natalie Lehmann, Ensemble-Mitglied in der PEER GYNT Produktion, die Tränen … Dieser Moment berührte mich nachhaltig, gewissermaßen als Schlussakkord einer von Komik und Drama gleichermaßen geprägten Inszenierung.

Natalies Tränen drückten für mich jene Kombination aus Schmerz, Entsagung, aber auch ideellem Reichtum und Zauber aus, die das Wesen der Kunst ausmacht – und sich daher auch in meinem Logo wiederfindet, in Form einer Perlenträne im Augenwinkel einer entkernten Theatermaske:
Die Theatermaske mit Perlenträne, bis 2020 Logo der Kulturplattform jourfixe-muenchen, seitdem Logo des GdS-Blogs
Bei einer Dernière weicht Anspannung der Freude, über den Erfolg des Abends, einer Saison oder Tournée – und schlägt dann leicht in Kummer um, darüber, sich jetzt von der Bühne verabschieden zu müssen – und somit auch von den Scheinwerfern, dem Applaus und jener Kunst, um deren Gunst man über Wochen und Monate gerungen hat.
Dieses Prinzip für mich selbst zu erkennen und in das eigene Logo zu integrieren, ist keine große Sache, hier aber begegnete es mir, der Zuschauerin, im Verhalten einer anderen Künstlerin wieder. Eine Momentaufnahme, die sich mir eingeprägt hat …
Auch die rauschhafte Freude, mit der Ensemble-Mitglied Lena Flögel (3.v.li. in obigem Video) den Schlussapplaus quittierte, wirkte ansteckend. Zudem beeindruckte mich die künstlerische Entwicklung, die offensichtlich hinter Lena lag, seit ich sie bei Proben erstmals erlebt hatte; ein Erfolg, der nicht zuletzt der einfühlsamen und akribischen Regiearbeit Ulf Goerkes zuzuschreiben ist, für die er am Ende mit „Bravo“-Rufen bedacht wurde.
Bei diesem Finale gönnte man sich vor und auf der Bühne eine Überdosis Emotionen – und das war gut so!!

am 13.11.2021 im Schwere Reiter München
Hintergrund rechts: Dramaturgin Florentina Ileana Tautu, Regisseur Ulf Goerke, die Darstellerinnen Lena Flögel (verdeckt) und Marysol Barber-Llorente (in Rot)
Hintergrund mitte: Luis Goodwin/Jonas Stenzel (2köpfiger Trollkönig), Maria Ringel (Trollprinzessin)
Hintergrund links: Angelica Fell, Vorstand FBM,
Ausstatterin Janina Sieber, (die obigen, im 3 D – Druck entstandenen, Vorhang kreierte), Natalie Lehmann
Vordergrund: Wolfgang Vogel
Für mich muss Bühne unbedingt Emotionen zwischen Publikum und KünstlerInnen herstellen; gelingt dies bei einer Produktion, so ist schon die „halbe Miete“ zum Erfolg eingebracht, schließlich stehen Emotionen ebenso für künstlerischen Ausdruck, wie Worte, Klänge, Licht und Requisiten; sie tun dies sogar auf einer wesentlich tieferen Ebene und verlangen daher nach besonderer Hingabe und Authentizität seitens des Ensembles, bevor sie sich auch dem Publikum vermitteln.
Bei den Produktionen der inklusiven Freien Bühne München erlebe ich solche emotionalen Übertragungen immer wieder, insbesondere gespeist von der Begeisterung der DarstellerInnen mit Behinderung, deren von Theater-Routine noch unberührte Spielfreude (ein in FBM-Rezensionen häufig auftretender Begriff) sich in Folge unweigerlich auf die „alten Hasen“ im Ensemble sowie auf das Publikum überträgt.
> Die glorreichen Sieben
SZ, von Blanche Mamer, Gauting, 1.11.2021 > LINK
„Die Schauspieler der Freien Bühne München geben im Gautinger Bosco Henrik Ibsens „Peer Gynt“ mit großer Spielfreude und lassen eigene alltägliche Erlebnisse einfließen. Eine außergewöhnliche Inszenierung.“
Sowohl das inklusive Bühnenstück nach Ibsens PEER-GYNT, wie auch das rege Treiben und die Gespräche rund um die Dernière im Schwere Reiter München, fügten sich nahtlos in meine derzeitigen Auseinandersetzungen mit dem Wesen des Lebens allgemein und dem eigenen insbesondere: Die aktuelle politische und epidemische Lage, meine persönliche Lebenssituation und nicht zuletzt meine gesundheitlichen Einschränkungen fordern mich kontinuierlich dazu auf. Manches davon in künstlerisch sublimierter Form reflektiert zu bekommen, hilft mir bei Einordnung und Aufarbeitung – was letztlich ja auch eine der Funktionen künstlerischen Schaffens ist – oder zumindest sein sollte …

V. li: Wolfgang Vogel, Maria Ringel, Lena Flögel, Marisol Barber-Llorente, Natalie Lehman, Luis Godwin, Jonas Stenzel
Da begegnete mir zum einen, in der Figur des Außenseiters PEER GYNT, jenes mir wohlbekannte Phänomen der Ausgrenzung, das denen widerfährt, die sich jenseits gesellschaftlicher Normen bewegen. In PEER GYNTs Fall ist es die ausgeprägte Neigung zu Sturm und Drang eines phantsiebegabten und noch nicht gefestigten jungen Menschen, durch die er sich wiederholt und zunehmend selbst ins Abseits kickt: Einfallsreichtum zieht ja leider leicht einen Rattenschwanz an Nebenwirkungen nach sich, wie Ibsens Figur erfahren muss, in der ich viel von mir selbst in jungen Jahren entdeckte, wenn ich auch keinen Bräutigam entführt und auch keinen Sohn eines Trollkönigs vernascht habe 😉 Dennoch sah ich grundsätzliche Parallen zu eigenen Erfahrungen, die mich aufwühlten.

Dass das „Anderssein“ des PEER GYNT von gleich sieben AkteurInnen eines diversen Ensembles dargestellt wurde, verlieh auch der diesjährigen Inszenierung der inklusiven Freien Bühne München (FBM) inszenatorische Wucht …

… die bereits die FBM-Produktionen der Vorjahre ausgezeichnet hatte, was sich in der kontinuierlich hohen Zuschauer-Resonanz jeglichen Alters niederschlägt! Der Erfolg beruht zudem auf der visionären Komponente, die die Freie Bühne München (FBM) von Anfang an auszeichnete:
Ein Theater, in dem sich DarstellerInnen mit und ohne Behinderung gleichermaßen einbringen und ihre Persönlichkeiten zu einem vielschichtigen neuen Ganzen vereinen.
Dieser Vision vermag sich niemand zu entziehen, daher entwickeln sich die Vorstellungen der FBM, über die eigentlichen Aufführungen hinaus, zunehmend zu einem Treff der Kunst- und Kulturszene Münchens!

PEER GYNT Dernière im ansprechend renovierten SCHWERE REITER MÜNCHEN, 13.11.2021
Darüber hinaus stellte ich fest, wie sehr mir meine alten WeggefährtInnen während der Corona-Lockdowns und sonstiger Tragödien gefehlt hatten und wie gut die Wiederbegegnung mit ihnen tat, noch dazu in derart geballter Form: Ein Extra-Klecks Seelenbalsam für mich 🙂

Die Anerkennung professioneller Theater-Ladies!
Links Christine Willschrei, die über die Jahre gefühlt die Hälfte aller SchauspielerInnen in München und darüber hinaus ausgebildet hat
Rechts Eva Giesel, die über ihren LITAG THEATERVERLAG europaweit Bühnenstücke vermittelt!

Schauspielerin Marion Niederländer, die aktuell mal wieder als durchgeknallte Hippy-Mama Doro in der Daily-Soap „Dahoam is dahoam“ im Bayerischen Rundfunk zu sehen ist
Rechts Bloggerin Gaby dos Santos
Jetzt bin ich gespannt, mit welchem Bühnenstoff die FBM uns im Herbst 2022 überraschen wird.
Dann hoffentlich Corona-frei! Auf den hartnäckigen Störenfried mit Killerpotential ist zurückzuführen, dass diese Bühnen-Dernière für mich zugleich wieder eine Kultur-Dernière war, ab sofort und bis zu meiner Booster-Impfung!
Buchtipp im Zusammenhang

Henrik Ibsen und die Frauen
Literarische Biografie von Gunna Wendt
Limbus Verlag, Innsbruck
Schon zu Lebzeiten faszinierte Henrik Ibsen die Ibsen-Jugend, in der sich Lou Andreas-Salomé und Franziska zu Reventlow wiederfanden, und er vermag bis heute in seinen Bann zu ziehen …
ISBN 978-3-99039-186-0
Gebunden mit Lesebändchen
224 Seiten
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2 Kommentare zu „Perlentränen, Standing Ovations und Abschiede bei der PEER GYNT Derniere der Freien Bühne München im frisch renovierten Schwere Reiter“