Irgendwann in den letzten Monaten hat sich ein neuer Alptraum in mein Reptertoire wiederkehrender Horrortrips eingefügt: Neben dem Abitur, das ich aus irgendwelchen Gründen wiederholen muss, suche ich nunmehr regelmäßig und mit wachsender Verzweiflung nach Peter Langs Artist Studio im Zentrum einer Traumstadt, durchforste dabei die Katakomben des Münchner Künstlerhauses, finde mich am Karlsplatz wieder, der urplötzlich am Hauptbahnhof liegt und erkenne schließlich, dass eine Baustelle gerade die letzten Reste dessen verschlingt, was für mich einst eine Seelenoase inmitten des stressigen und mitunter auch boshaften Kunst- und Kulturgetriebes darstellte.


V.li.: Ein kleines unscheinbares Schild – mehr gestattete die Künstlerhaus-Leitung nicht – mit großer Wirkung, als Wegweiser zum Sesam-Öffne Dich in eine Oase der Gemütlichkeit im Herzen von München: dem Artist Studio, schräg vis à vis zum Karstatt, wo einst Münchens Hauptsynagoge (s. Denkmal) stand > Foto rechts
Das Artist Studio von Ton-Ingenieur und Multiinstrumentalist Peter Lang. Zwar lag es im Untergeschoß des Münchner Künstlerhauses am Lenbachplatz, war aber eine eigenständige GmbH und verfügte entsprechend über einen separaten Eingang auf der Rückseite des Gebäudes, in der kleinen Herzog-Max-Straße. Dieser befand sich vis à vis vom Denkmal für die ehemalige Münchner Hauptsynagoge und der Karstatt-Filiale, mit ihrem bestechenden Sortiment an Handtaschen im Schaufenster, ideal für Träumereien während meiner Zigarettenpausen … Denn das Artist Studio war über viele Jahre mein Arbeitsplatz.


Links der Regie-Raum mit Glasfenster zur Bühnenraum des Studios mit variablen Sprecherkabinen,
rechts gehen Peter Lang und ich nochmals ein Skript vor den Tonaufnahmen durch
Von 2003 bis 2020 kooperierte Peter Lang als Sponsor, Tonmeister und Musiker mit der von mir gegründeten Kulturplattform jourfixe–muenchen.


für das Historical „Marktplatz Moritaten“

Edir dos Santos auf der Studiobühne das Historical „Echos aus Sepharad“ für die Jüdischen Kulturtage

Zudem engagierte sich Peter Lang lange im Trägerverein jourfixe-muenchen e.V. als Zweiter Vorsitzender und ließ uns von seinem großen Erfahrungsschatz vor und auf der Bühne profitieren. Dabei gehört er zu den „leise Wissenden“, die ihr Know How, egal wie umfangreich, nie an die große Glocke hängen. Deshalb unterschätzt man sie leicht oder überhört sie gar. Mir ist das jedoch bei Peter zum Glück nie passiert und wird mir hoffentlich auch in Zukunft niemals passierren … Dazu standen und stehen er und seine Frau Heidi mir viel nah.

Von vorne im Uhrzeigersinn: Martine (mit Rücken zum Foto) und Roland Jerzewski (Europäische Schule),
Toni Netzle
Stehend: Gaby dos Santos und Jon Michael Winkler, Peter Lang,
Davor sitzend: Marcus Woelfle (Bayerischer Rundfunk), Petra-Windisch de Lates (Jazzfest München / Dt. Lebensbrücke), Claudia Strauch (Strauch Media), Steffi Bachhuber (Bayerische Staatsoper), Eckhard Jahn (FWU Institut für Film und Bild), Livia Schroeffelbauer (Tontechnikerin Artist Studio)
Bereits ab 2004 räumte Peter Lang Jon Michael Winkler und mir die Chance ein, mietfrei bei ihm die multimedialen Elemente zu unseren Bühnen-Collagen/Historicals zu entwickeln und die Studio–Bühne für Proben und Durchläufe vor Testpublikum sowie für Präsentationen zu nutzen, wie zum Beispiel bei der Langen Nacht der Musik.



Unten links: Das vollbestuhlte Artist Studio vor Veranstaltungsbeginn; die drei weiteren Bilder zeigen Momentaufnahmen (von Stefan Prager) der Langen Nacht der Musik 2015: Ausschnitte aus dem Historical:
Ingeborg Schober – Eine Poptragödie mit Rockröhre Claudia Cane und Gaby dos Santos (Textvortrag)
Mit dem Artist Studio stand Jon und mir eine Kreativ-Schmiede besonderer Art zur Verfügung: Ganz bewusst hatte Peter Lang seinerzeit (1998) bei der Einrichtung auf jenes herkömmlich kühle Ambiente verzichtet, das in der Regel Studios prägt und stattdessen, rund um seine Hightech-Gerätschaft, auf rustikale Gemütlichkeit in Tannengrün und Rot gesetzt! Das verlieh seinem Reich ein ganz eigenes Flair. Hinzu kam die einzigartige Lage im Zentrum der Stadt, im Untergeschoß des historischen Münchner Künstlerhauses. Entsprechend entwickelte sich das Artist Studio schnell zu einem Insidertipp der Kunst- und Kulturszene und, über seine Funktion als tontechnische Einrichtung hinaus, zu einem veritablen Treffpunkt, in dem sich die unterschiedlichsten, teilweise sehr prominenten, teilweise sehr schrägen Persönlichkeiten die Klinke in die Hand reichten.

So bearbeitete Peter Schamoni hier seinen Dokumentarfilm Majestät brauchen Sonne und später seinen Film mit dem kürzlich unter tragischen Umständen verstorbenen Daniel Küblböck. Prominente Schauspieler wie Mario Adorf, Michael Mendl, Susanne von Borsody fanden sich zu Hörbuch-Aufnahmen ein, Bands produzierten hier ihre CD’s.



Obere Fotos: Mit Csaba Gal, aktuell Leiter des Künstlerkreises Kaleidoskop und mit Sängerin Linda Jo Rizzo
Untere Fotos: BMG-Ariola Pressekonferenz mit Snap!, CD-Aufnahme von Ecco Meineke/Ecco di Lorenzo
sowie, ganz rechts: Sprachaufnahme Mio mein Mio für das Münchner Theater für Kinder: Jochen Streicher, Andreas Meyer und Til Schulz




Auch Künstler wie Kabarettist Bruno Jonas und das Comedy-Duo Joko und Claas nutzten die Facilities dieses besonderen Studios, das auch Location für zahlreiche Showcases und Pressekonferenzen für Stars wie dem Duo ich & ich, Rosenstolz und Snap! diente oder für Dreharbeiten, wie beispielsweisen Filmdrehs für die Constantin Filmserie K11, siehe Foto links.
Auf Grund der behaglichen Atmosphäre eignete sich das Studio besonders für die O-Ton-Interviews mit ZeitzeugInnen, deren Zusammenschnitte ich für meine Historicals benötige sowie zur Gestaltung von Beiträgen im GdS-Blog. Es liegt auf der Hand, dass die Auskunftsfreudigkeit der Befragten exponentiell zu deren Wohlbefinden wuchs.

sowie dem Wesen der Musikwelt an sich:
Jon Michael Winkler mit Komponist Vladimir Genin (re.)
Aufenthaltsraum im Artist Studio München, Dezember 2015 > LINK zum Beitrag
Kein Problem an einem Ort, der überall mit liebevollen Details ausgestattet war, vom Seifenspender über die Deckenbeleuchtung aus hunderten alter CD`s, den Tischdeckchen, antiquarischen Instrumenten an den Wänden, auf denen Peter gerne das eine oder andere Überraschungsständchen anstimmte, den bunten Autogrammkarten oder auch den Sessel aus einem alten Kino-Saal, die im Regieraum als Couch-Garnitur dienten, etc.


Auf pittoresken Kinosesseln: Die Damen von musica femina München, vom Archiv Frau und Musik und von Musikerlebnis/Tonicale, v.li: Susanne Wosnitzka, Mary Ellen Kitchens, Dr. Ulrike Keil, Anne Holler-Kuthe
im Gespräch mit Jon Michael Winkler (rechts) zum Thema Frauen in der Musik, Dezember 2015

Auch die etwas mehr als elf Jahre, in denen die ehemalige Simpl-Wirtin und Schauspielerin Toni Netzle ein Teil meines Lebens war, sind eng mit dem Artist Studio verbunden. Hier trafen wir uns mit Lale Andersens Sohn Michael Wilke, einem engen Freund Tonis aus Jugendzeiten und dessen Frau Renate (s. obiges Foto). Als ich hier die ersten Ton-Aufnahmen zur Retrospektiv-Reihe Nicht immer Simpl – Toni Netzle produzierte, traf Künstlerhaus-Präsident a.D. Peter Grassinger (unteres Foto links) zufällig Toni nach vielen Jahren wieder und engagierte sie für Lesungen im Künstlerhaus. Und es war auch im Artist Studio, wo noch eine letzte Tonaufnahme mit Toni im Februar letzten Jahres stattfand, gerade noch rechtzeitig, bevor die Corona-Pandemie über uns hereinbrach (unteres Foto rechts).


Doch nicht nur die Location Artist Studio, sondern auch der Inhaber stach hervor: Der bewegten Biographie des vielseitigen Kunstschaffenden Peter Lang widmete ich das Historical Genosse Rock’n Roll. Darin schildere ich, vor dem Hintergrund des Swingin‘ Budapest der 1960er Jahre, ein Musikerdasein unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus – denn: Auch hinter dem Eisernen Vorhang tobte der Rock’n Roll und Peter Lang an vorderster Front mit: Er war Mitbegründer der ungarischen Kultbands Omega und Hungaria und gewann mit letzterer sogar das ungarische Pendant von „Deutschland sucht den Superstar“ – als Dieter Bohlen noch in Windeln lag …

Mehr zu Peter Langs Vita findet sich zusammengefasst auf nachstehenden Flyer/Text
vom November 2014, zu einer Aufführung in der Europäischen Schule in München:

Bei diesem Gig an der Europäischen Schule erfuhr ich auch von einer ungarischen Schülerin, wie bekannt damals Peter Lang tatsächlich in Budapest war. Sie sei extra wegen Peter Lang zur Aufführung gekommen; ihre Großmutter sei bis heute ein großer Fan …
Wie gesagt – Peter ist einer von den Leisen … In Bezug auf seinen Erfolg in Ungarn ebenso, wie in Bezug auf die immerwährende Unterstützung, die er Jon und mir zukommen ließ – und nicht nur uns … Nun hat er während Corona noch wütet, auch sein Studio ganz leise aufgegeben.


Aber Peter Lang wäre kein pfiffiges Kind sozialistischer Mangelwirtschaft, wenn er sich nicht längst in einem Artist Studio 2.0 eingerichtet hätte, geschickt jeden Millimeter seines Kellerraumes nutzend, zu Neuem bereit.

Doch 2.0 hin oder her – Eine Ära ist unwiederbringlich vorbei, ein Kapitel meines Lebens endgültig geschlossen und noch fehlt mir der zeitliche Abstand um anders als mit Wehmut zurück auf dieses verlorene Refugium zu blicken: Nie wieder im Artist Studio sitzen, von Peter lernen, Bild-Collagen bearbeiten und dabei schauen, wer wohl heute Spannendes die Treppen hinab steigen wird … Bestimmt werde ich in meinen Träumen noch lange weiter nach dem Artist Studio suchen …
13 Kommentare zu „Peter Langs Artist Studio 2.0. reloaded: Fotoretrospektive mit Zukunftsvision“