Titel-Collage: Das Ausgangsbild stammt von Maler Wolfram Kastner: ARTE amore ANARCHIA und ist das Beitragsbild von „ANARCHISMUS IN BAYERN“ im Literaturportal Bayern
Einmontiert: Schriftstellerin Gunna Wendt und links oben das GdS-Logo: Die Theatermaske mit Perlenträne
„In der Auseinandersetzung mit den aktuellen Begrenzungen ist es notwendig, neue Inhalte und Formen zu kreieren.“ äußert Gunna Wendt einleitend zu ihrem neuesten Beitrag im Literaturportal Bayern. Dabei konzentriert sie sich auf die Sicht zeitgenössischer Kunst- und Kulturschaffender, die sie mit Anarchismus in Bayern assoziiert. Nur ganz am Anfang streift Wendt dessen historische Entwicklung, die prägend für die Münchner Bohème in der Gründerzeit war, indem sie zwei Ikonen jener Künstlerschaft zu Wort kommen lässt: Franziska zu Reventlow, die mit dem Text Anarchie und Bohème vertreten ist und den Schriftstseller und Philosophen Erich Mühsam. Zu Beginn des ihm gewidmeten Textes Anarchie und Wahrhaftigkeit steht ein leidenschaftliches Zitat, in dem der Anarchist Selbstdisziplin und Eigenverantwortung einfordert:
… die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben. (…)
… Sie schreien nach Polizei, weil sie allein sich nicht schützen können gegen die Bestialität ihrer Instinkte. Wo ihr Zusammenleben gemeinsame Entschlüsse verlangt, da lassen sie sich vertreten (die deutsche Sprache ist sehr feinfühlig), weil sie den eigenen Entschlüssen zu trauen nicht den Mut haben. (…)
Erich Mühsam: Anarchie. In: Wir geben nicht auf! Texte und Gedichte Hg.: Günther Gerstenberg, München 2002

Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1981-003-08 CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de,
Was Mühsam vor über hundert Jahren beanstandete, tritt insbesondere jetzt, in der Corona-Krise, in Teilen unserer Gesellschaft schmerzlich zu Tage, weil vielfach übersehen wird, dass Freiheit, ob nun in politischem, gesellschaftlichem oder spirituellem Kontext, maßgeblich einer Eigenleistung bedarf.
Wendt führt des weiteren den Politologen und Philosophen Rolf Cantzen auf, der den Anarchismus als „Lebenselixir“ für die Demokratie versteht und wiederum den Anarchisten und Kognitionspsychologen Rainer Mausfeld zitiert:
Anarchismus und Demokratie sind in den Zielen fast deckungsgleich, nämlich eine menschenwürdige Gesellschaft zu konzipieren und zu realisieren.
Rolf Cantzen, „Die lange Nacht über Anarchismus“, Deutschlandfunk Kultur, 2. Mai 2020
Mit dem Begriff des „Anarchismus“, das wird in Wendts Beitrag schnell sichtbar, verbindet sich ein vielfältiges Programm (…), das sich mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen verknüpfen lässt, keinesfalls aber mit Chaos oder Gewalt, wie häufig suggeriert wird. Auch mit dem Begriff einer „Ideologie“ verträgt sich der – gedankliche Freiheit einfordernde – Anarchismus nicht, ein weiterer Aspekt, der mir sehr zusagt, wie daher auch lange Passagen aus dem Interview mit Konstantin Wecker, unter dem Titel: Die Poesie ist anarchisch.
Um das „Recht auf eine herrschaftsfreie Gesellschaft“ durchzusetzen ist der Kampf gegen eine Weltanschauung notwendig, „die als ewig gefestigt, in Stein gemeißelt und unverrückbar erklärt wird.
Konstantin Wecker: Auf der Suche nach dem Wunderbaren. Poesie ist Widerstand, München 2019
Um den Begriff „Anarchie“ sowie um Gunna Wendts pointierte Fragen herum, formulieren auch ihre weiteren GesprächspartnerInnen überraschende Gedankengänge, die ich mit Gusto reflektiert oder auch weitergesponnen habe und teilweise noch viel weiter spinnen werde 😉 – denn Gunna Wendts literarisch-philosophisches Kompendium zum „Anarchismus in Bayern“ lädt zum „Immer-wieder-Schmökern“ ein. Zudem eignet es sich hervorragend zur geistigen Erbauung an Ostern, einem Fest, das – unabhängig von jeglicher Konfession – an einen Vordenker erinnert, dessen Lebensstil, Werte und Forderungen ihn zu einem kongenialen Gesprächspartner für dieses Themen-Dossier gemacht hätten …
Zum Beitrag von Gunna Wendt > Anarchismus in Bayern
Themengliederung
- Erich Mühsam – Anarchie und Wahrhaftigkeit
- Franziska zu Reventlow – Anarchie und Bohème
- Karl Valentin und Liesl Karlstadt – Anarchie des Absurden
- Ruth Drexel – die Welt als veränderbar begreifen
- Konstantin Wecker – die Poesie ist anarchisch
- Philip Bradatsch – die Vermeidung jeglichen Lagerdenkens
- Michaela Dietl – ich brauch keinen Meister, ich brauch keinen Herrn
- Sarah Ines – Macht über mich selbst haben
- Luisa Francia – Anarchismus ist lebendige Freiheitsbewegung
- Wolfram Kastner – Aversion gegen jede Art von Herrschaft
- Thomas Grasberger – Grant als Selbstverteidigungsstrategie
- Jörg Schröder und Barbara Kalender – MÄRZ in Bayern




Ein Kommentar zu “Oster-Lesetipp: „Anarchismus in Bayern“, Themen-Dossier von Schriftstellerin Gunna Wendt im „Literaturportal Bayern“; in Interviews und Zitaten u.a. Konstantin Wecker, Wolfram Kastner, Ruth Drexel, Erich Mühsam”