Nein, heute würde keine Frau hierzulande mehr geköpft werden, nur weil sie eine andere Meinung vertritt, als die von der Regierung propagierte, äußerte Evelyn Plank, Schauspielerin, Autorin und Initatorin der Veranstaltung in ihrer Eröffnungsrede zur Leseperformance, die unter dem Motto „Wer sind die Sophie Scholls unserer Zeit?“ stand.

„Sophie Scholl ist unser aller Großmutter im Geiste“, lautete am Ende der Matinee das Fazit von Ayse Güvendiren, Regie-Studentin an der Otto-Falckenberg Schule. Sie erhob die historische Persönlichkeit zum Leitbild für die nachkommenden Frauengenerationen in puncto „Mut und Engagement“. Schon ihren eigenen, sehr persönlichen Beitrag über „mutige Frauen“ hatte sie der beherzten Lebenshaltung einer Großmutter gewidmet: ihrer eigenen und sie als leise Heldin skizziert, deren Kopftuch, gemeinsam mit einigen Fotos, sie liebevoll auf dem Tisch in der Mitte des Saales ausbreitete. Gerade weil ich heute bei jungen Frauen eine rückläufige Tendenz beobachte, was das Bewusstsein für die Bedeutung der Frauenrechte anbelangt, fühlte ich mich Ayse verbunden, dafür, dass sie daran erinnerte, dass es die Großmutter-Generationen gewesen sind, die das Terrain bereitet haben, auf dem wir heute unsere Freiheiten recht komfortabel ausleben können; ein emanzipiertes weibliches Selbstverständnis, das die junge Juristin und Theaterregisseurin selbst verkörpert, wie ich in einem anschließenden Gespräch feststellen durfte: Ayse Güvendiren stand wenige Tage vor ihrem Abschluss in Jura, als sie eine schwere Erkrankung für längere Zeit aus dem Verkehr zog. Zeit, um MUT – da ist er wieder 😉 zu schöpfen für eine komplette berufliche Neuorientierung: Jura nicht im Gerichstssaal zu praktizieren, sondern auf der Bühne zu thematisieren, dort, wo es gilt, schwere Lücken und Versagen im juristischen System aufzuzeigen. So thematisierte sie in einem Theaterstück bereits die Ermordung einer jungen Frau im Gerichstsaal: Am 01. Juli 2009 wird Marwa El-Sherbini im Landgericht Dresden von einem islamophoben Gewalttäter niedergestochen. Ein heran eilender Bundespolizist schießt auf El-Sherbini’s Ehemann Elwy Ali Okaz, der mit dem Angreifer um die Tatwaffe ringt. Der Ehemann überlebt den Gewaltexzess nur knapp. Marwa El-Sherbini stirbt an ihren Verletzungen. > MEHR

Dass in anderen Ländern Mut zur Opposition durchaus noch Körperverletzung oder gar Tod bedeuten kann, führte uns Journalistin Lilian Ikulumet aus Uganda in einem Gänsehaut-Beitrag vor Augen, in dem sie auch von dem Schicksal einer Transgender-Freundin berichtete, die schließlich den Freitod wählte und von der Praxis der Mädchen-Beschneidung in ihrem Land. Beeindruckend die Wucht ihrer Sprache, obgleich Deutsch ja nicht ihre Muttersprache ist. Dass sie u.a. als Kolumnistin für die Süddeutsche Zeitung arbeitet, verwundert da nicht weiter. Dort heißt es auf der Autoren-Seite über sie: Bis 2010 arbeitete sie ( in Uganda) für mehrere Zeitungen, ehe sie wegen ihrer politischen Artikel bedroht und verletzt wurde und schließlich flüchten musste. Inzwischen arbeitet Ikulumet bei der Caritas – und bei der > SZ. Auf ihren Recherchen im Großraum München fast immer mit dabei: Töchterchen Taliah, Jahrgang 2018. So auch gestern 🙂

Dass für Jüdinnen und Juden in Berlin die „Schonzeit vorbei“ sei, thematisierte die jüdische Autorin und Bloggerin Juna Grossmann in ihrem gleichnamigen Buch. In diesem stellt sie sich mutig ihren Ängsten gegenüber dem wachsenden Antisemitismus, indem sie ihn öffentlich anprangert! Besonders bitter an ihrer Biografie: Bereits in der DDR erlebte ihre Familie Repressionen durch das Regime und nun empfindet sie sich in der Bundesrepublik erneut als „auf gepackten Koffern sitzend“ … Skizziert wurde dies anhand einer Collage aus persönlichen Zitaten und verbindenden Texten, die Evelyn Plank gekonnt verwoben hatte und gemeinsam mit Schauspielerin Marion Niederländer vortrug, wobei letztere sowieso eine Meisterin darin ist, Dialogen Leben einzuhauchen. Entsprechend lies sich aus Juna Grossmanns Mimik unschwer deuten, wie sehr sie der Textvortrag ihrer eigenen Biografie bewegte.

Ebenfalls im Collagenstil vorgestellt wurde die überraschende Vita von Gertrud Simmert-Genedy. „Projektleiterin Jobcenter München“ hatte ich in der Vorankündigung gelesen und mir alles mögliche vorgestellt, nur nicht einen derart wechselvollen Lebenslauf, der diese mutige Frau aus der bayerischen Provinz quer über den Globus bis nach Japan, von dort nach Ägypten und dann, in den Wirren des arabischen Frühlings, wieder zurück nach Deutschland katapultierte. Jede ihrer Stationen prägte Gertrud Simmert-Genedy selbst, mit großem MUT zum Neuanfang, und bewies die Fähigkeit, dabei auch jedes Mal erfolgreich neue Projekte von gesellschaftlich-sozialer Relevanz auf die Beine zu stellen!

Zwischen den einzelnen Textvorträgen setzten musikalische Improvisationen, Percussion von Janine Schmidt und „Voice Art“ von Julia Wahren, die genau richtigen, weil universell verständlichen Anklänge.

So unterschiedlich sich die biografischen Miniaturen auch darboten, so strahlten sie doch in der Gesamtheit eine ermutigende weibliche „Yes we can„-Botschaft aus, passend zum Weltfrauentag, nicht zuletzt dank vieler liebevoller Details, die sich Evelyn Plank für die Veranstaltung hatte einfallen lassen, angefangen mit der Deko an den Wänden, zusammengestellt aus Kleider-Skulpturen und Bildern. Dominiert wurde das Ambiente von einer bunten Tischdecke, die sich auf dem Tisch fast durch den ganzen Raum zog. In Anlehnung an einen Brauch der Frauen in Camerun hatte man sie eigenhändig bemalt. Zum Abschied war jede Frau eingeladen, sich ein Stück davon zur Erinnerung abzuschneiden.

Als Veranstaltungsort erwies sich dabei das MFI – Münchner Zentrum für Islam – einmal mehr als ein kongeniales Forum für interreligiöse und interkulturelle Begegnungen!

(…) Die Initiative „Mut der Frauen“ von Evelyn Plank präsentiert seit 2016 jährlich mutige Frauen der Gegenwart. Rund um einen Tisch erzählen mehrere Frauen ihre eigenen Geschichten – stellvertretend für die Kämpfe und Positionen aller Frauen in Deutschland und der Welt, egal welchen Hintergrunds. Zu hören sind dabei Texte der Widerstandskraft, des Mutes und der Überwindung von Angst.
Den Impuls zu dieser Reihe gab indirekt eine Gruppe schwarzgekleideter deutscher Kriegswitwen, die einen Jungen schützend umstellten, als dieser von Nazis hingerichtet werden sollte, weil er eine weiße Fahne als Zeichen der Kapitulation geschwenkt hatte. Dieser Junge hieß Heinz Fischer und widmete dem „MUT DER FRAUEN – Sternstunden der Zivilcourage“ später ein > BUCH, das wiederum Evelyn Plank zu ihrem Projekt in Endlos-Schleife inspirierte.
Die einzelnen Schicksale und die textliche Dichte des Skripts zu „Mut der Frauen 2020“ haben mich sehr bewegt.
Sind es nicht immer die persönlichen Geschichten, aus denen sich schließlich DIE Geschichte schreibt … für kommende Generationen ..?
Gaby dos Santos im März 2020

MUT* – eine diverse Leseperformance zum Weltfrauentag 2021 / ab 7.3./ab 18 Uhr > virtuell in der Mohr-Villa Mediathek
Die Leseperformance 2021 portraitiert mit ihren Texten und Musik beeindruckende Menschen und ihre individuellen Lebensformen, losgelöst von „offensichtlichen“ Rollenbildern. Es sind
Liebesgeschichten zu sich selbst und dem anderen.
Die Titelcollage zeigt v.l. eine Muslima im Gespräch mit der jüdischen Autorin Jona Großmann, Journalistin Lilian Ikulumet aus Uganda und Theatermacherin Ayse Güvendiren.
Ein Kommentar zu “„Sophie Scholl, unser aller Großmutter im Geiste“ – Leseperformance und Begegnungen zur Ausgabe 2020 von Evelyn Planks „Mut der Frauen“ im Münchner Forum für Islam”
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