Letztes Wochenende Frankfurt, dieses Wochenende Berlin … Die Polit-Parade des CSD befindet sich weiter auf Tour durch die sommerliche Städtelandschaft Deutschlands und scheint, was die Beteiligung anbelangt, inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie ich kürzlich in München beobachten durfte, von einem Logenplatz im SPD-Truck aus:

Sogar Alexa – Amazons virtuelles Faktotum – trat in Erscheinung, namentlich, auf einem Plakat vom „glamazon“-Truck aus, mit dem der US-amerikanische Onlineriese Amazon bei der Münchner Parade vertreten war, zu meiner großen Überraschung, bilden doch der CSD und Amazon nicht unbedingt eine nahe liegende Paarung …
Siemens – für mich einst DIE Blaupause konservativ-bürgerlicher Lebensentwürfe, fuhr mit einem eigenen „Siemens-Pride-Wagen“ direkt vor unserem SPD-Truck. Für mich untrügliche Zeichen, dass der CSD sich zu einem Ereignis „to be“ entwickelt hat. Eine riesige Baustelle auf dem Parcours zeigte Regenbogen-Flagge, dito so mancher Baukran, die Münchner Tram und Busse sowieso und selbst eine Filiale der Münchner Bank hatte ihren Schriftzug mit einem Luftballon-Arrangement in Regenbogenfarben geschmückt!
Persönlich besonders berührt hat mich eine Beobachtung am Viktualienmarkt, diesem Hort UR-Münchner LebensART: Auch hier, farblich gut in das bunte Allerlei aus Früchten und Gemüse integriert, erspähte ich die Regenbogenflagge, hübsch drapiert um die Schultern einer Marktfrau!

Nicht weit von ihrem Stand befand sich einst das Wirtshaus des Volksschauspielers Walter Sedlmayr (1926 – 1990), der, aus Sorge um die Karriere, seine Homosexualität zeitlebens vor der Öffentlichkeit verborgen hatte. Wie sehr kontrastiert doch Sedlmayrs Lebensdrama, dessen Ende nur knapp 30 Jahre zurückliegt, mit der kreativen Nonchalance und mit dem viel zitierten „queer pride“, mit denen heute die LGBT-Community (Lesbisch, Schwul, Bisexuell und Transgender) in Erscheinung tritt!

Einfach hin- und mitreißend die Akzeptanz, mit der man dem CSD nicht nur begegnete, sondern sich ihm vielfach freudig anschloss. Von einer queeren Nischenveranstaltung konnte in diesem Jubiläumsjahr – 50 Jahre Stonewall, 40 Jahre CSD München – keine Rede mehr sein. Die Statistik spricht für sich: 2019 haben sich, laut CSD-Bericht, am 4,5 Kilometer langen Parcours und im Gefolge der Parade, 155 000 Menschen eingefunden, darunter 140 Gruppen, angeführt, wie immer, von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Stadtrat Thomas Niederbühl, ROSA LISTE. Dazu lautete das diesjährige Motto:
“50 JAHRE STONEWALL – CELEBRATE DIVERSITY! FIGHT FOR EQUALITY!”

Zurecht als „ein große Miteinander“ überschreibt die Süddeutsche Zeitung ihren Beitrag vom 14.7. und liefert eine Zusammenfassung, die sich mit meinen Eindrücken deckt, aus dem ich ausschnittsweise zitiert, und den ich mit eigenen Schnappschüssen bebildert habe:

(…) so lohnt sich erst recht der Blick in die Menge, die der Truck im Schritttempo passiert. Dragqueens, Männer in Leder und Masken, Jugendliche und Freundesgruppen, Familien mit Kindern, Paare mittleren Alters und auch ältere Herrschaften wie diese Frau, die am Gärtnerplatz ihren Rollator vor sich aufgebaut hat, unentwegt lacht und mit großen Augen den Truck verfolgt. Kurz: Bunt, alles ist bunt. Ganz München sieht der Parade zu, so scheint es aus dem Wagen heraus.
Die Menschen stehen auf Straßen und Stromkästen, hocken in Fensterrahmen und auf Balkonen. Selbst Mitarbeiter vieler Läden stellen sich vor die Türen, winken der Parade zu. (…) Die Sicht vom Wagen herunter spiegelt das wieder, was sich auf dem Truck abspielt. Ein großes Miteinander. Nichts anderes zählt. (… > MEHR)
Dass es mitunter in Strömen regnete, tat der ansteckend ausgelassenen Stimmung keinen Abbruch, schien eher die Menschen zusammen zu schweißen. Außerdem versank das Wettergrau sowieso in einem regenbogenfarbenen Meer an Schirmen und sonstigem Regenschutz – und in der allerbesten Laune. Zumal neben dem Regenwasser so einiges an Alkohol floss… Beide Flüssigkeiten machten dann auch vor unseren Truck keinen Halt. 😉

Zwar diesmal nicht zur Sonne, gleichwohl aber zur Freiheit – der sexuellen Vielfalt – schritt SPD-Stadtrat Christian Vorländer, der sich unter anderem als Fachsprecher für Lesben und Schwule (LGBT*I) engagiert, unserem Truck voran; ganz rechts neben ihm, Alexej Preissler, Geschäftsführer der Jusos München, der zeitweilig mit einem Cordon unsere Wagenfahrt absicherte, wie auch Lena Odell, ebenfalls aus dem Vorstand der Münchner Jusos, die mir auf Nachfrage versicherte, dass der Regen dem Spaß keinerlei Abbruch getan und der Prosecco ein übriges geleistet habe!
Der viel beschworene Slogan „München ist bunt“ entfaltete sich beim diesjährigen CSD München einmal mehr auf unübersehbare Art und Weise. Und das ist gut so!
Doch leider erhielt dieses Sinnbild gefeierter Toleranz 2019 auch einen Dämpfer: Eine Schlagzeile machte am nachfolgenden Tag in den Medien die Runde, zu der ich aus Deutschlandradio Kultur vom 14.7. zitiere: Partei-Wagen der Union blockiert! Während der Parade gab es Proteste gegen die Teilnahme der Gruppe „Lesben und Schwule in der Union“, also in CDU und CSU. Der Wagen wurde auf der Route durch die Stadt zweimal blockiert. Auch einem Wagen der Bundeswehr wurde kurzzeitig die Weiterfahrt verwehrt. (…)

Hallo? Gerade weil noch immer Teile der CDU/CSU – und auch der Bundeswehr – konservative Wertvorstellungen zu Ehe und Familie vertreten, halte ich die Teilnahme von Angehörigen dieser Gruppen für besonders wünschenswert, im Sinne weiterer Annäherung. Zudem bekundet die Teilnahme am CSD mit einem eigenen Truck, egal ob aus Überzeugung oder taktischem Kalkül, öffentlich und damit nachhaltig Solidarität mit der LGBT-Community! Und wieso sich ein Karton mit dem (inhaltlich durchaus nachvollziebaren) Schriftzug „no pride for some of us without liberation for all of us“ nun ausgerechnet pauschal gegen die Schwulen und Lesben in der Union richtet, verstehe ich auch nicht. Zwar halte ich es für legitim und auch für wichtig, gerade an einem solchen Tag gefeierter Freizügigkeit daran zu erinnern, dass diese in anderen Teilen der Welt alles andere als selbstverständlich ist. Doch bitte dabei die Kirche im Dorf lassen! Politischer Aktivismus geht auch anders, wie eine ganze Reihe ausländischer Demonstran*Innen bewiesen haben. Anhand von Plakaten haben sie an diesem Tag wirkungsvoll auf die Missstände in ihrer Heimat hingewiesen, ohne dabei auf kontraproduktive Weise die Parade zu behindern, wie nachstehende Fotos exemplarisch zeigen.

Start- und Endpunkt der CSD-Parade lagen am Marienplatz, wo auch die Auftakt-Kundgebungen abgehalten wurden, unter anderem von Stadtrat Thomas Niederbühl, ROSA LISTE, seit 1996 und bis heute europaweit der erste und einzige offen schwule Stadtrat einer solchen Initiative, der sich entsprechend auch für den CSD seit jeher stark macht. Ein weiterer Protagonist der LGBT-Szene ist Albert Knoll, Vorstand im Forum Homosexualität München, das mit der Dokumentation/Archivierung (u.a. eine CSD-Ausstellung, derzeit in Überarbeitung), sowie mit der historischen Erforschung des schwul-lesbischen Lebens in München befasst ist.

Die Aktivitäten zur Gleichstellung der LGBT-Angehörigen in München beschränken sich also keineswegs auf den einmal im Jahr nach außen getragenen CSD, doch setzt dieser ein unverzichtbares Ausrufezeichen in Regenbogen-Farben mitten hinein in unsere Stadtgesellschaft. Wie unabdingbar diese Signalwirkung tatsächlich ist, war mir bislang nicht wirklich bewusst, da ich zum Zeitpunkt der Pride Week immer verreist war. Tatsächlich hegte ich mitunter sogar Zweifel, ob eine schräg und schrill daher kommende Demonstration geeignet sei, eine Akzeptanz auf Augenhöhe unserer LGBT-Mitbürger*Innen seitens der Münchner – und Deutschen – Gutbürgerlichkeit voran zu treiben. Diesbezüglich hat mich meine CSD-Stadtrundfahrt 2019 eines besseren belehrt: Sich der farbigen Ausgelassenheit dieser Veranstaltung zu entziehen, erscheint mir unmöglich. Vielmehr erfasst gerade durch dieses kunterbunte Treiben eine herrliche Laissez faire-Stimmung die ganze Innenstadt!

Es wird daran zu arbeiten sein, dieses Ausmass an Toleranz nachhaltig in unser Alltagsleben zu übertragen. Während meines vierstündigen Regenbogen-Rittes durch München hat sich mir die Utopie einer wirklich offenen und einander zugewandten Stadtgesellschaft gezeigt. Sie ganz zu verwirklichen, dürfte – menschlich – kaum möglich sein, eine Annäherung sehr wohl. An dieser gilt es nun zu arbeiten, politisch, wie auch persönlich, öffentlich wie auch im stillen Kämmerlein der Selbstbesinnung …jede und jeder von uns, jeden Tag, alle 364 Tage, bis zum nächsten CSD …
TERMINE 2020 laut www.csdmuenchen.de
4. – 12. Juli 2020 CSD-PrideWeek
11. Juli 2020 CSD-Politparade, CSD-RathausClubbing
11./12. Juli 2020, CSD-Straßenfest
Ein noch immer aktuelles Interview mit Stadtrat Thomas Niederbühl / ROSA LISTE >
7 Kommentare zu „Regenbogen-Ritte jeden Tag und überall! Rückblick auf den Münchner CSD 2019, vom Truck aus: Fotostrecken/Collagen, Beobachtungen, Zitate sowie weiterführende Links“
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