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„Ein Lied genügt, wenn es nur von der Heimat spricht“ – Oleg Pogudin, die Silberne Stimme Russlands, in einer historisch-konzertanten Hommage an die NS-Widerstandsgruppe „Weiße Rose“

Ein Lied genügt, wenn es nur von der Heimat spricht ... , besagte sinngemäß eines der letzten Lieder des historisch-musikalisch angelegten Abends in der Großen Aula der LMU, mit dem berühmten russischen Sänger Oleg Pogudin als Stargast.

Ja, ein Lied kann in der Tat genügen und – über die geografische Heimat hinaus – für eine universelle Heimat stehen, die Menschen unmittelbar von „Herz zu Herz“ verbindet, wie Oleg Pogudin es mir gegenüber später formulierte. Davon zeugten auch die Feldpostbriefe von Hans SchollAlexander Schmorell und Willi Graf, die vor Konzertbeginn von den Schauspielern Michael Tschernow und Arthur Galiandin vorgetragen wurden.

Die MIR-Schauspieler Michael Tschernow (li) und Artur Galiandin (re)

Entgegen der Feindbild-Propaganda des NS-Regimes fanden Hans SchollAlexander Schmorell und Willi Graf emotional schnell Zugang zu Russland, als man sie im Sommer 1942 an die Ostfront abkommandierte. In verstärktem Maße galt diese Affinität natürlich für Alexander Schmorell, dessen Wurzeln tatsächlich dort liegen, aber auch seine Freunde berührten Land und Bevölkerung sehr. Einen maßgeblichen Beitrag für diese Annäherung leistete dabei die russische Musik, wie immer wieder aus den Briefen hervorgeht, die die drei jungen Männer aus Gshatsk bei Moskau, wo sie als Sanitätssoldaten stationiert waren, nach Deutschland schickten.

Von links Hubert Furtwängler und die Widerstandskämpfer Hans Scholl und Alexander Schmorell in Ghatzk, Quelle: akg-Images

Diese Feldpost-Briefe waren von Scholl, Graf und Schmorell im Zeitraum von Sommer bis Herbst 1942 verfasst worden: „Nur ein knappes halbes Jahr vor ihrer Hinrichtung“, ging mir während der Lesung durch den Kopf. Und aus eben dieser Perspektive nahm ich an diesem Abend auch den Lichthof, die Flure und die Große Aula der LMU wahr, als jenen schicksalhaften Ort, an dem die Geschwister Scholl verhaftet wurden, nur wenige Monate, nachdem Hans Scholl aus Russland zurückgekehrt war.

Wie stimmig, dass nun Russlands berühmter Interpret von Volksliedern und Russischen Romanzen, Oleg Pogudin, die Lieder seiner Heimat an genau an diesem historisch belasteten Ort darbot, in einem der Weißen Rose gewidmeten Konzert …

Eine Youtube-Version von „GORI, GORI“, gesungen von Oleg Pogudin > https://youtu.be/M4_El7TSNu0

„Gori, Gori“ stimmte Oleg Pogudin als erstes Lied an. Eine Ballade, vorgetragen zunächst mit sparsamer Instrumentierung, als taste sich der Künstler anhand seiner Stimme behutsam zum Publikum vor, um sich dann, mit Einsetzen des gesamten Orchesters, endgültig dem Abend zu öffnen. Natürlich bedient ein Sänger wie Pogudin auch die Klaviatur des hochklassigen internationalen Chansons, beispielsweise mit Charles Aznavours Version der „Zwei Gitarren“ oder mit dem Tango Magnolia von Alexander Wertinskij, mit dem er Schwung und stilistisch ein Hauch des Pariser Olympia in die akademischen Hallen der LMU brachte. Am meisten jedoch berührten mich seine Interpretationen Russischer Romanzen.

Oleg Pogudin wurde von einem sieben-köpfigen Top-Ensemble aus St. Petersburg begleitet; Foto: Raisa Konovalowa

Diese wurzeln, wie mir Pogudin später erläuterte, im Kunstlied von Schumann, Schubert oder Brahms, nicht zuletzt, weil viele russische Komponisten damals ihre musikalische Ausbildung in Deutschland abrundeten. In Folge entwickelten sie das Genre ihrer Kultur entsprechend weiter und ergänzten es durch den typisch russischen Fundus an großen Emotionen. In einem Beitrag „Russische Romanzen zum Klavier“ schreibt Welt-Kultur: „Wer dem Geheimnis der russischen Seele näherkommen möchte, ohne sich auf die langwierige Lektüre der russischen Roman-Klassiker einzulassen, der höre einfach Lieder von Sergej Rachmaninow und Modest Mussorgsky. Gerade in ihnen offenbart sich das Gemüt des leiderfahrenen Mütterchens Russland. Nicht zufällig heißt das Kunstlied im Russischen „Romanze“. (…)  Dramatische Aufwallungen, lyrische Inseln und tragische Anmutungen (…)“  Mit der Zeit hat sich das Genre dem französischen Chanson angenähert, jedoch bleiben die Texte eng mit der – aus dem Leben und der Liebe gegriffenen – Gefühlswelt verbunden, da die russische Sprache die ganz großen Gefühle zulässt, ohne sich dabei im Pathos zu verlieren. Dadurch bedient das russische Liedgut die Gefühle der Menschen auf faszinierend unmittelbare Weise.

Dass der russische Schauspieler und langjährige MIR-Conférencier Arthur Galiandin jedem Lied eine deutsche Zusammenfassung voranstellte, trug dazu bei, die interpretatorische Leistung von Pogudin besser nachzuvollziehen, der zu Recht auch als „großer Volkssänger“ von seinen Landsleuten gefeiert wird. Oft habe ich während des Konzerts die Augen geschlossen und mich einfach von seiner Stimme treiben lassen, hinein in die Landschaft mit Birken, Wäldern und Steppen, von der Alexander Schmorell in seinem letzten Brief in Freiheit nach Deutschland berichtete. Genau diese beschwor der Gesang Pogudins vor meinem Inneren Auge immer wieder herauf, jene Szenerie, die eine Angel tief in meine Brust geworfen hat …“  wie Schurik, so nannten seine Freunde Alexander Schmorell, es ausdrückte. Seine Seele sei „drüben geblieben“ schrieb er  in jenem letzten Brief als freier Mann und versah damit die soeben vorgetragene Feldpost mit einem tragischen Schlussakkord. Seltsamerweise empfand ich, dass ausgerechnet das Sehnsuchtsvolle im Timbre Pogudins der melancholischen Grundstimmung einen tröstlichen Unterton verlieh, zumal der Künstler seine Darbietungen niemals mit großem Gestus belastete. Meist stand er einfach konzentriert vor dem Mikrophon und schien ruhig abzuwarten, welche Nuancierung der innere Dialog zwischen Text und Seele von seiner Stimme  als nächstes abrufen würde. Wohl gerade dadurch dominierte er die Bühne und erwies sich als kongenialer musikalischer Botschafter nicht nur seines Landes, sondern aller in Klang verwandelten, menschlichen Gefühlswelten … Mir genügte bereits ein erstes Lied – „Gori, Gori“, um in der mir eigenen Heimat anzukommen …

Künstlerisches Gespräch mit Oleg Pogudin im Anschluss an sein Konzert

Im Anschluss an das Konzert führte ich ein kurzes Gespräch mit Oleg Pogudin. Dabei fand ich keinerlei Diskrepanz zwischen der fokussierten Persönlichkeit, die ich auf der Bühne erlebt hatte und meinem Gesprächspartner danach; bei Künstler*Innen keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Wir ließen das Konzert Revue passieren, und er erläuterte mir noch einiges zum Thema Russische Romanzen. Leider verliert diese Form der Lied-Darbietung – ebenso wie das Chanson – zunehmend an Terrain gegenüber der Popkultur. Das dürfte aber eher dem kommerziellen Kalkül der Musik-Industrie geschuldet sein, als den Bedürfnissen des Publikums, wie die Standing Ovations an diesem Abend bewiesen.

Die vollbesetzte Große Aula der LMU. Zweiter von rechts der russische Konsul Alexander Stepanov

Umso mehr gebührt den Veranstalter*Innen Dank, die solche kulturellen Sternstunden ermöglichen:

Dr. Hildegard Kronawitter (links) und Tatjana Lukina

In diesem Fall waren das zum einen Frau Dr. Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung e.V., von der ich bereits soviel gehört, die ich aber bislang noch nie persönlich getroffen hatte – und zum anderen der unermüdlichen Tatjana Lukina, Gründerin, künstlerische Leiterin und Präsidentin von MIR – Zentrum russischer Kultur in München!


Extra angereist: ERNST GRUBE, Holocaust-Überlebender und Georg-Elser-Preisträger 2017
Am Ende: Der „harte Kern“ von MIR hat Stargast Oleg Pogudin in die Mitte genommen; rechts neben ihm MIR-Präsidentin Tatjana Lukina, links Raisa Konovalowa, Fotografin der meisten Bilder in diesem Bericht

Markus Schmorell, Neffe von Alexander Schmorell und stellvertretender Vorsitzender der Weiße Rose Stiftung e.V., erwähnte in seinem Grußwort, dass er inzwischen vorsichtig geworden sei, was Anfragen zu Veranstaltungen im Kontext der „Weißen Rose“ betreffe, da deren Gedenken in letzter Zeit auf unpassende Weise vereinnahmt worden sei … Eine unschöne Begebenheit, über die auch in den Medien und sozialen Netzwerken berichtet wurde. Doch auf diesen Abend traf das Gegenteil zu: Hier wurden auf höchstem Niveau emotional, musikalisch und interkulturell Brücken geschlagen!

Grusswort von Markus Schmorell,

Die Veranstaltung erfolgte im Rahmen des
deutsch-russischen Jahres der Hochschulkooperation und Wissenschaft 2018-2020
als Kooperation zwischen MIR – Zentrum russischer Kultur in München
und der Weiße Rose Stiftung e.V.,
gefördert durch das Auswärtige Amt der BRD, das russische Kulturministerium und Rossotrudnitschestwo der Russischen Föderation


Titel-Collage: Gaby dos Santos



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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.wordpress.com

Ein Kommentar zu “„Ein Lied genügt, wenn es nur von der Heimat spricht“ – Oleg Pogudin, die Silberne Stimme Russlands, in einer historisch-konzertanten Hommage an die NS-Widerstandsgruppe „Weiße Rose“

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