Wir vergessen nicht unsere Menschen – aber wir können vergeben, wenn wir im Herzen Gottes Liebe tragen“
beschwor einer der Predikanten die Sinti- und Roma-Gemeinde Freier Christen Jeschua München JGM, die sich zum Gedenkgottesdienst in der Erlöserkirche München eingefunden hatte
„Ich trau mich von Vergebung und Versöhnung zu reden … Vergebung ist ein Grundprinzip des Glaubens. Menschlich gesehen ist sie nicht möglich, im Göttlichen sehr wohl.“
So lauteten sinngemäß die Kernaussagen der Predigten, die am Samstag Abend, dem 10. März 2018, den „ziganen“ Opfern des NS-Regimes in München gewidmet waren; den Sinti, Reisenden, Roma, Jenischen, Gaukler & Komödianten, die die nationalsozialistische Rassenideologie unter dem Sammelbegriff „Zigeuner“ verfolgt hatte.

Dennoch stand das Gebot der „Vergebung“ im Zentrum dieser Andacht, ein göttliches Gebot, das jedes Kommunionskind und alle KonfirmandInnen mit auf ihren religiösen Weg bekommen; so häufig wiederholt und seit so vielen Jahrhunderten herunter gebetet, dass es in unserem säkularen Alltag oft nur noch als sinnentleerte Formel erscheint.

Nicht so bei diesem Gottesdienst – Mit jedem inbrünstigen „Amen“ – „So soll es sein!“ mit dem Gemeindemitglieder vielstimmig die Aufforderungen zu Vergebung quittierten, verwandelte sich das uralte biblische Gebot in tatsächlich gelebtes Christentum: In dieser Kirche bekannten sich Mitmenschen zu Vergebung und Versöhnung gegenüber unserer Mehrheitsgesellschaft, obwohl sie ALLE in ihren Familien Opfer des NS-Regimes beklagen, darüber hinaus Jahrzehnte um Wiedergutmachung zu kämpfen hatten und bis heute diskriminiert werden! Diese Haltung rührte und beschämte mich zugleich, erst recht, als einer der Sprecher „(…) wir sind nicht schmutzig (…)“ in seiner Rede betonte, ein Vorurteil, dass sich noch immer hartnäckig in unserer Mehrheitsgesellschaft hält.
Obgleich ich mich bei diesem Gottesdienst eher als passive, wenn auch beseelte Teilnehmerin sah, riss mich die hier praktizierte Form religiöser Andacht, die ich sonst nur von „schwarzen“ Gospel-Gottesdiensten aus dem TV kenne, emotional mit. „Lasst uns einfach Jesus Christus feiern!“ hieß es immer wieder.

Es wurde gesungen, rhytmisch geklatscht, man wog sich zur Musik hin und her, öffnete die empor gestreckten Hände und damit ganz sich selbst oder betete eng umschlungen. Solcherart selbstvergessene Hingabe, „aus dem Bauch heraus“, wie ich sie in der Freien Christen Gemeinde Jeshua München erlebte, bedarf jedoch der Wahrhaftigkeit! Bis heute erinnere ich mich mit einem Gefühl des „Fremdschämens“ an einen ökumenischen Gospel-Gottesdienst, den ich vor einiger Zeit in München besucht habe: Verkrampft kichernde Priester, die in ihren Soutanen herum hopsten und sich offensichtlich selbst als gaaaanz fortschrittlich cool empfanden. Diese Form kirchlicher PR bedient, meiner Meinung nach, falls überhaupt, nur den Zeitgeist, nicht aber den Glauben und die allgemeine Glaubwürdigkeit schon gar nicht!
Anders verhielt es sich in dieser Gemeinde, denn Musik, wie auch einer der Prediger betonte, gehört zum „ziganen“ Lebensgefühl. „Wir haben unseren Hunger weg gesungen,“ äußerte er von der Kanzel aus. Mit diesem Ausspruch allerdings erntete er ein ebenso ungläubiges wie herzliches Gelächter. „Hunger weg gesungen? Häh?“ Meine Freundin Ramona grinste mich ungläubig fragend an. „Wir haben uns doch nicht den Hunger weg gesungen?“ Und schon lachte sie wieder und mit ihr die ganze Gemeinde, worauf der Prediger mit den Achseln zuckte und, verschmitzt, sinngemäß meinte: „Naja, vielleicht habe ich da ja etwas zu dick aufgetragen. Aber trotzdem. Musik ist wichtig für uns. Lasst uns durch sie Christus feiern!“ Humor „konnte“ man hier also auch! 😉
Doch natürlich prägten nicht nur spirituell intensive und heitere Momente diesen Gottesdienst, der vor allem dem Gedenken der Opfer des „Porajmos“ gewidmet war (deutsch: „das Verschlingen“), ein Romanes–Begriff für den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma, Reisenden, Jenischen, Gaukler & Komödianten, in der Zeit des Nationalsozialismus.
So berichtete Alexander Diepold, Gründer und Leiter, seit 30 Jahren, von Madhouse gGmbH, der Beratungsstätte für Sinti & Roma in München, wie schwer es noch heute Überlebenden des Holocausts fällt, über die traumatischen Erlebnisse zu sprechen, derer sie als Kinder Zeuge wurden.
Ein schweres Erbe, sehr schwer auch für die nachfolgenden Generationen … Dennoch schwang überwiegend Positives in den Ansprachen mit – ebenso wie unbedingter Mut zur Hingabe an den Glauben, die in der Aufforderung gipfelte, man solle die „Bibel lesen wie kleine Kinder. (…) Unser Volk hat kein Land, aber ein Zuhause und einen Papa im Himmel.“ – Worte, die mich in ihrer Schlichtheit zutiefst berührten! Der selbe Redner wies zudem darauf hin, dass man nun schon 1000 Jahre überlebt und sich seine Kultur erhalten habe. Diesen kulturellen Reichtum gelte es nun, den „Deutschen“ vorzuführen.
Die aktuelle Veranstaltungsreihe, vom 8. bis 19. März 2018 in München, stellt für mich einen ersten Schritt in diese Richtung dar, für die sich auch Alexander Diepold persönlich sehr eingesetzt hat. Sie beinhaltet Themen wie die Verfolgung der Minderheit vor, während und nach der NS-Zeit sowie den aktuellen Antiziganismus in der Gesellschaft. Darüber hinaus werden Einblicke in das vielfältige kulturelle Leben der Sinti und Roma vermittelt, Führungen, Spaziergänge und Poetry Slam geboten. Zusätzlich zu den im Flyer aufgeführten Terminen, bietet Madhouse, in seinen Räumlichkeiten in der Landwehrstraße 43, noch weitere Veranstaltungen an.
Die Gottesdienste in der Freien Christen Gemeinde Jeshua München – JGM finden jeden Samstag Abend um 18 Uhr statt, in der Erlöserkirche München, Hanauer Str. 54, 3 Gehminuten von der U3, Olympia-Einkaufszentrum.
Focus-Artikel von 2016:
„Der Hass auf Roma wächst: Hat Europa nichts aus seiner Geschichte gelernt?“






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