Die Ingenieurin, die an diesem Abend neben mir sass, brach am Ende der Debatte in Tränen aus. Zuvor hatte sie in gebrochenem Deutsch sehr eindringlich um mehr Akzeptanz gegenüber Kopftuch tragenden Musliminnen in unserer Gesellschaft gebeten. Einen Satz, der ihr besonders am Herzen lag, hatte sie sich vorher auf Deutsch ausformulieren lassen. Sinngemäß lautete der, dass sie zwar Kopftuch trage, dieses aber keinesfalls ihren Verstand einenge. Sie beklagte des weiteren, dass sie weitestgehend über ihr Kopftuch definiert würde, statt über ihre Persönlichkeit …
Organisiert von den Arbeitsgruppen Kirche und Frauen in der BayernSPD-Landtagsfraktion, fand vergangene Woche ein spannender und zeitweilig hitzig geführter Diskussionsabend zum Thema „frauenfeindliche Gesellschaftsbilder“ statt. Diese schloss sich einer Veranstaltung des Forums Kirche und SPD an (INTEGRATION IST KEINE EINBAHNSTRASSE – EIN EUROPÄISCHER ISLAM KANN GELINGEN), die ich leider aus zeitlichen Gründen nicht hatte wahrnehmen können.
In der aktuellen Einladung stand: „Wenn es um das Thema „Gleichberechtigung“ und „Emanzipation“ geht, prallen häufig unterschiedliche Vorstellungen zwischen religiös orientierten muslimischen Frauen und westlich orientierten Frauen aufeinander. Allerdings bestehen auf beiden Seiten auch „Vorurteile“, die lediglich darauf beruhen, dass beide wenig voneinander wissen – weder über die geschichtlichen noch über die religiösen und kulturellen Hintergründe. Darüber wollen wir sprechen, mit einander und mit Dr. Tuba Isik“.
Dr. Isik (Foto) ist eine der Vorsitzenden des AK Musliminnen und Muslime in der SPD und Mitglied im Aktionsbündnis muslimischer Frauen. Letzterer versteht sich als ein bundesweiter Interessenverband von Musliminnen in Deutschland:„Viel zu oft wird nur über uns, aber nicht mit uns geredet. Das wollen wir ändern. Dazu wollen wir eine möglichst breite Basis gewinnen, damit alle Frauen sich vertreten fühlen. (…)
Das AmF wurde aus der Erfahrung gegründet, dass muslimische Frauen eine bessere Vernetzung untereinander, eine stärkere Interessenvertretung innerhalb der (in sich breit gefächerten) muslimischen Community sowie in der nicht muslimischen deutschen Mehrheitsgesellschaft brauchen“. Daraus ergeben sich ein an Toleranz und Kooperation orientiertes Selbstverständnis und das Interesse, in diesem Sinne an gesamtgesellschaftlichen Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen mitzuwirken.“ (Quelle der Zitate: Die AmF-Homepage, ebenso für nachstehendes Bildmotiv/Logo)
In ihrer einleitenden Rede griff Frau Dr. Isik die oben zitierten Anliegen auf und betonte, wie ebenfalls auf der Homepage nachzulesen, dass es dem AmF NICHT um „die Positionierung zu bestimmten theologischen Fragestellungen“ ginge, vielmehr dienten „das Grundgesetz, die Menschenrechte sowie im Islam fundierte Leitprinzipien der Menschenwürde, des verantwortlichen Handelns vor Gott und den Menschen sowie des Zusammenlebens aller Menschen in Frieden und Gerechtigkeit“ als Basis für die Aktivitäten des Vereins.
Auf solche Grundlagen beruft sich auch das mit veranstaltende „Forum Kirche und SPD“, dem ich angehöre, unter Vorsitz der SPD-Landtagsabgeordneten Diana Stachowitz, die die Veranstaltung ebenfalls mit: „Für mich gilt miteinander reden, nicht übereinander“, kommentiert. Ein frommer Wunsch an diesem Abend, denn schnell entbrannte eine Debatte, die sich teilweise, da sehr emotional ausgetragen, weit von Dr. Isiks einleitenden Ausführungen entfernte, ja diese mitunter sogar überging. Einmal mehr zeigte sich, was für einen Reiz-Faktor das muslimische Kopftuch nach wie vor darstellt.
Auch ich habe lange gebraucht, um mir eine Meinung zum Thema zu bilden, so sehr schwillt mir als Feministin ungewollt noch immer der Hals, wenn ich einer dieser verhuschten Frauen auf der Straße begegne, die Tuba Isik als „Kopftuch-Ayse“bezeichnete. Diese gebeugt und mit gesenktem Blick schleichenden Gestalten, deren Körperhaltung und Kleidungsstil Selbstverleugnung pur auszudrücken scheinen, gepaart mit resignierter Demut gegenüber einem Patriarchat, das sich im Kielwasser einer Glaubensrichtung komfortabel eingerichtet hat. Wie in unserem viel beschworenen „christlich-jüdisches Abendland“ übrigens bis vor kurzem auch …
Vielleicht tun gerade deshalb wir Feministinnen uns so schwer damit, das Tragen von Kopftüchern seitens muslimischer Geschlechtsgenossinnen zu tolerieren. Zu lange und zu hart haben wir selbst den Kampf für unsere Gleichberechtigung ausfechten, uns demonstrativ die Röcke abschneiden, Hosen anziehen und BH’s vom Leib reißen müssen, um nun den Anblick mehr oder minder verhüllter Frauen in unserer Mitte so einfach akzeptieren zu können.
SPD-Powerfrauen, mit und ohne Kopftuch, im Bayerischen Landtag, am 15.02.2017: Referentin Dr. Tuba Isik mit den Organisatorinnen, v.li: Ruth Müller, Dr. Tuba Isik, Simone Strohmayr, Diana Stachowitz, Angelika Weikert
Bei der Diskussion zeigte sich, wie oft sich die Kopftuch-Debatte in Deutungen erschöpft. Eine Landtagsabgeordnete äußerte, dass es sich bei dem Kopftuch um ein Symbol der Unterdrückung handele und leitete daraus die Forderung ab, Dr. Isik möge deshalb doch bitte das Kopftuch „wenigstens mal für vierzehn Tage“ ablegen, aus Solidarität mit den solcherart unterdrückten Frauen. Dieser Logik mag ich nicht folgen. Sich auf das Kopftuch einzuschießen, lenkt meiner Meinung nach von den tatsächlichen Missständen darunter ab, gegen die es sich in Wirklichkeit zu engagieren gilt: Die Unterdrückung vieler Frauen in muslimischen Kulturkreisen, in Bezug auf deren körperliche, geistige und berufliche Selbstbestimmung! Diese Unterdrückung ist in der Tat noch immer, leider auch hierzulande, verbreitet und stellt das eigentliche Übel dar. Das Tragen eines Kopftuchs kann ein äußeres Zeichen dafür sein, muss es aber keineswegs.
In einem Rundumschlag Frauen zu diskriminieren, die sich bewusst und aus freien Stücken für das Kopftuch entschieden haben, scheint mir daher nicht nur nicht zielführend, sondern stellt in meinen Augen einen Akt zusätzlicher Ausgrenzung dar. Wenn wir tatsächlich Frauen beistehen wollen, die im Namen eines willkürlich ausgelegten Islams unterdrückt werden, sollten wir meiner Meinung nach dazu das Wissen von Fachfrauen wie Dr. Isik nutzen, statt ihr das Tragen des Kopftuches anzulasten. Als Islamwissenschaftlerin und Theologin hat sie sich schließlich, im Gegensatz zu den meisten von uns, akribisch mit dem Islam auseinander gesetzt, zumal ihr der Vater, ein Iman, schon in frühester Jugend zu kritischen Fragen Rede und Antwort stehen musste, wie sie uns schmunzelnd erläuterte.
Doch leider gehörten an diesem Abend eine ganze Reihe Wortmeldungen für mich unter die Rubrik „keine Ahnung, aber davon umso mehr“ und enthüllten zudem, wie wenig bzw. wie oberflächlich die Ausführungen der Referentin von einigen Anwesenden aufgenommen, beziehungsweise gar nicht weiter beachtet worden waren. Bei allem Verständnis für die Erfahrungen, die wohl dem einen oder anderen heftigen Einwand zugrunde liegen mochten, bei manchen der Anwesenden hätte ich mir etwas weniger Schwarz-Weiß-Malerei, weniger taube Ohren und mehr emotionale Distanz in der Sache gewünscht!
In unserer multikulturell angelegten Gesellschaft, die, wie Diana Stachowitz in ihrer Begrüßungsrede zu Recht bemerkte, Punk-Irokesen ebenso zulässt, wie Richter mit Bärten, orthodoxe Juden mit Schläfenlocken, etc., sollte doch auch Platz sein dürfen für das Kopftuch auf dem Haupt einer bekennenden und im übrigen gesellschaftlich integrierten Muslima, wie Tuba Isik?! Erst recht jetzt, wo die Anwesenheit eines Travestie-Paradiesvogels wie Olivia Jones bei der honorigen Wahl des Bundespräsidenten einmal mehr bewiesen hat, wie bunt sich inzwischen unser gesellschaftliches Selbstverständnis gestaltet. (Foto oben links, Bild-Quelle „Neues Deutschland„)
Warum dann immer noch diese Ablehnung gegenüber Kopftuch tragenden Musliminnen? „Wegen der Haltung, die dahinter steckt!“ lautete die Begründung einer Landtagsabgeordneten, die ich als etwas selbstgerecht empfunden habe. Drücken wir nicht alle durch unseren Kleidungsstil irgendeine Haltung aus – oder verbergen uns sogar dahinter? Was mich zu der Frage veranlasst, wen denn was befugt, darüber zu entscheiden, welche Haltung sich im Styling wiederspiegeln darf und welche nicht? Natürlich spielt für mich dabei die Verhältnismäßigkeit eine Rolle, die ich durch eine vollkommene Vermummung als ebenso strapaziert empfinde, wie durch den nackten Flitzer … Aber zwischen solchen Extremen sollte doch jede/r nach seiner Facon selig werden dürfen, dem guten alten Fritz sei dank!
EPILOG: Für diesen Beitrag habe ich Tuba Isiks Begriff der „Kopftuch-Ayse“ gegoogelt und bin tatsächlich fündig geworden, allerdings in einem ganz unerwarteten Zusammenhang: Die Fotodesignerin Ayse Tasci (Foto links, Quelle: Ayse Tasci) hat für ihre Diplomarbeit an der Folkwang-Hochschule in Essen Musliminnen mit Kopftuch fotografiert, um endlich die Frauen dahinter sichtbar zu machen. Die Durchführung ihres Projektes erwies sich als keineswegs einfach, da viele dieser Frauen, wenn sie nicht gar aus Angst vor Repressalien längst das Kopftuch widerwillig ablegt haben, sich zumindest im Hintergrund halten möchten.
„Ein Kopftuch-Verbot, das ist der eigentliche Zwang.“ lautet das Fazit von Ayse Tasci. „Man redet von Freiheit und Demokratie, dann muss man den Frauen auch die Möglichkeit lassen, selbst zu entscheiden“, äußert sie in einem Internet-Beitrag.
„Kopftuchträgerin mit Dr. Titel hält ein Vortrag zur Rolle der Frau im Islam? Paradoxer geht es wohl nicht mehr. Sorry.“ kommentierte nachträglich, mit verwundertem Amüsement, ein Facebook-User die Veranstaltung im Landtag und zeigt damit – und das meine ich keinesfalls wertend – wie sehr uns festgefahrene Sichtweisen noch immer auf dem Weg zu jener weltoffenen Gesellschaft behindern, die wir meinen, längst errungen zu haben. Zu der gehört für mich auch die Akzeptanz jenes moderaten Islam, der unseren demokratischen Werten keineswegs widerspricht. Gerade – und nur -mit Hilfe unserer muslimischen Mitbürger_Innen kann uns die Integration muslimischer Migrant_Innen gelingen und die Auflösung jener bedauerlichen Parallelgesellschaften, die in vielerlei Hinsicht unseren demokratischen Werten tatsächlich entgegen stehen.
Hierzu siehe auch meinen jourfixe-Blogbeitrag: „Kommt herbei zu einem gleichen Wort zwischen uns …“ – Muslimisches Leben in München als gesellschaftliche Chance
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