Es verbirgt sich einiges aus Bernd Fischerauers persönlicher Biografie in der Titelfigur seines Debüt-Romans „Burli“, den der bekannte Regisseur und Drehbuchautor vergangene Woche in Till Hoffmanns Schwabinger Lustspielhaus vorstellte.
Bernd Fischerauer, Jahrgang 1943, wuchs wie sein „Burli“, im Graz der Nachkriegsjahre und des Wirtschaftswunders auf, als sich noch so mancher brauner Filz unter sorgfältig ausgekämmten Teppichfransen verbarg. Die gradlinige, gleichermaßen unschuldige wie schelmische „Ich“-Perspektive des jugendlichen Erzählers entlarvt jedoch die kleinen und großen Lebenslügen der Erwachsenen. Besonders berührt hat mich dabei die liebevolle Darstellung der Gefühls- und Gedankenwelt eines typischen Teenagers, dem die Ungeheuerlichkeiten des Lebens – sein Vater wird unter anderem als Kriegsverbrecher gesucht – nicht weniger aber auch keinesfalls mehr bedeuten, als erste erotische Abenteuer und seine erste große Liebe! Intensiv hat sich der Autor dabei in diesen frühen Lebensabschnitt zurück empfunden und ihn literarisch neu belebt: „Burli“ erlebt und reflektiert die Ereignisse mit instinktivem Gespür für die Handlungsweisen und Motivationen der Menschen in seinem Umfeld, ohne dass dahinter jemals ein erhobener Zeigefinger des Autors spürbar würde.
Gebannt bin ich seinen detailliert skizzierten Momentaufnahmen gefolgt, aus denen sich mosaikartig Handlungsstrang und Rückblenden entwickeln, vor der Kulisse einer nur scheinbar idyllischen Gutbürgerlichkeit, die mit Ritualen sorgsam bewahrt wird, wie das „Abendbrot um Punkt Sieben“ – das viele Leser_Innen sicher selbst noch erinnern. Dazu lautet ein für Burli typischer Kommentar: „Als ob ein Butterbrot kalt werden könnte (…)“ Auch drakonischen Strafen seitens seiner Eltern sieht er sich immer wieder ausgesetzt, wie dem berüchtigten „Scheitelknien“, was bedeutet, stundenlang auf der Kante eines Brennholzscheites knien zu müssen. Entsprechend fühlt sich „Burli“ bei Abwesenheit seiner Eltern stets befreit. Das geschieht im Verlauf der Geschichte immer öfter, denn da ist ... die Sache mit der Vergangenheit seines Vaters, die sich Adolf, von allen „Burli“ genannt, nach und nach erschließt. Da gibt es geheimnisvolle Fremde, die plötzlich an der Tür klingeln, (…) Erwachsene, die immer ein Geheimnis mehr haben, als Burli durchschaut, aber auch (…) seinen Onkel Hubert, den Antifaschisten und Kinobetreiber. Am Ende kommt es zu einem großen Showdown. (Zitate aus dem Klappentext des Romans) Doch zu guter Letzt erweist sich der ganze Sturm, der durch das Leben des „Burli“ und seines Umfelds fegt, als ein Sturm im Wasserglas, denn 1957 werden auch die durch das Dritte Reich „Schwerbelasteten“ amnestiert. „Es gibt nach 1957 keine ehemaligen Nazis mehr in Österreich! so Dieter Stiefel, ein österreichischer Experte für Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Genau das macht den Roman von Bernd Fischerauer in meinen Augen umso wichtiger. Über die NS-Vergangenheit in Österreich und deren Aufarbeitung nach dem Krieg, ist mir bislang nur wenig bekannt gewesen, ganz zu schweigen von einem Roman zu diesem Thema. Ein entsprechend großes Anliegen muss Bernd Fischerauer die Präsentation seines Werkes gewesen sein. Und auch ein drängendes, denn Bernd Fischerauer ist seit einiger Zeit schwer erkrankt. Daher wusste er auch nicht, ob er selbst einer Lesung gewachsen sein würde. Diesen Part übernahm für ihn in Wien niemand geringerer als der Burgschauspieler Peter Simonischeck, der derzeit weltweit als „Toni Erdmann“ im gleichnamigen Film gefeiert wird.
In München und Salzburg las der Schauspieler Johannes Silberschneider (rechts im Bild) und wurde der Qualität des Buches mit seinem Vortrag mehr als gerecht. Leider habe ich während der gesamten Lesung die Augen geschlossen gehalten, um mich ganz auf die Sprache des Autors zu konzentrieren und dabei Mimik und Gestik des Darstellers verpasst, wie mir Toni Netzle später berichtete …
„Einen Roman muss man so schreiben, dass Bilder entstehen„, äußert Bernd Fischerauer in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Ich finde, dass ihm das wirklich gelungen ist, ebenso wie der Spagat, bei allem Detailreichtum in den Schilderungen, Spannung und Wortwitz nicht zu vernachlässigen. Das durfte ich bei meiner anschließenden Lektüre des Romans immer wieder feststellen. „Burli“ hat mich gepackt, und nur ungerne habe ich mich von dieser ebenso derb wie pointiert formulierenden Teenager-Figur verabschiedet. Deren Abenteuer auf dem Weg in die Welt der Erwachsenen hätte ich gerne noch länger verfolgt; auch wegen des angenehm unsentimentalen Stils des Buches, in dem es auch endet: Eine Amnestie – und Schwamm über die Vergangenheit …
Bernd Fischerauer hat bei seiner Buchpräsentation am Eingang des Saals alle Gäste persönlich begrüßt und es sich später nicht nehmen lassen, jedes Buch – und es wurden viele – zu signieren, wofür die zahlreich erschienenen und mehrheitlich prominenten Gäste aus der Münchner TV- und Filmfamilie geduldig anstanden. Auf obigem Foto, zweite von links, ist die Schauspielerin Kathrin Ackermann zu sehen und ganz rechts Kommissar a.D. Horst Schickl, alias Wilfried Klaus aus der TV-Serie SOKO 5113.
Zur Matinée erschienen war Bernd Fischerauer mit seiner Frau, der Schauspielerin Rita Russek,(auf obigem Foto links), bekannt u.a. aus der Krimiserie Wilsberg. Bei seinem Anblick bin ich ein wenig erschrocken, hatte ich ihn doch vor einem Jahr in der Hanns-Seidel-Stiftung kennen gelernt, wo er die Aufführung einer der Simpl-Collagen von Toni Netzle und mir besucht hatte. Schmal ist er inzwischen geworden, die Behandlungen haben Spuren hinterlassen, aber er wirkte gut aufgelegt. Kein Wunder, stand doch eine Menschenmenge schon einige Zeit vor Einlass in der Occamstraße Schlange!
Die Liste der Promi-Gäste ließe sich noch endlos fortsetzen, war aber für mich nicht das Besondere an dieser Veranstaltung. Abgesehen von der Lesung beeindruckte mich vielmehr, dass sich hier, jenseits aller Roten Teppiche, einfach Menschen versammelt hatten, um die Arbeit eines Kollegen, Freundes und Wegbegleiters von Herzen zu würdigen. Dem schloss sich auch die „BUNTE“ an.Tanja May und Celia Tremper widmeten Autor, Buch und Lesung die Titelstory der Woche, inklusive eines Abdrucks des Buch-Covers, obgleich Berlinale & Co. sicher genug anderen Stoff geboten hätten. Celia Trempers Sohn Terence hatte bereits bei der Veranstaltung eine ganze Reihe Pressefotos dazu geschossen. Aber „Boulevard“ ist und bleibt von Amts wegen eben „Boulevard“ und so wurde als Titelbild das große Portrait-Foto einer ernst blickenden Rita Russek gewählt und daneben ein kleineres von ihr und Bernd.„Rita Russek – Große Angst um ihren Mann“ lautet dazu die Schlagzeile. Darunter heißt es: „Star-Regisseur Bernd Fischerauer ist schwer erkrankt. Bewundernswert, wie seine Frau ihm jetzt beisteht. Er ist die Liebe ihres Lebens„.
Bleibt zu hoffen, dass diese vielfältige und hochkarätig besetzte Aufmerksamkeit nicht davon ablenkt, dass mit „Burli“ ein wertvoller neuer Beitrag auf dem Buchmarkt erschienen ist, dem in Kürze übrigens das nächste Buch folgen wird, Offensichtlich kann Bernd Fischerauer, ganz wie zeitweise sein „Burli“ im Roman, nicht mehr vom Schreiben lassen …
Im SZ-Interview von Eva-Elisabeth Fischer Bekenntnisse eines Apolitischen, 9.2.17, „über seinen ersten Roman „Burli“, politische Altlasten und die Lügen nach der Stunde Null in Österreich„, räumt der Regisseur und Drehbuchautor ein: „Ich hatte immer den großen Wunsch und andererseits auch den großen Bammel davor, mich an Prosa zu wagen. (…) Du kennst so viel gute Bücher, warum sollst Du jetzt auch noch ein schlechtes schreiben?‘ „
Das „Warum“ beantwortet Konstantin Wecker in einer Würdigung zum Buch: „Bernd Fischerauer weiß zu bewegen, zu verzaubern, zu erschrecken und zu berühren …“
Bernd Fischerauer / Burli / Roman ISBN: 978-3-7117-2046-7 /
288 Seiten, gebunden / €24,00 inkl. MwSt. / Picus Verlag /
auch als Ebook erhältlich
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danke bernd
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