„Man sollte auch mit seinen politischen Feinden immer ein Bier trinken können!“ , so lautet bis heute das Credo von Toni Netzle, der ehemaligen Prominentenwirtin im historischen Münchner Lokal Alter Simpl. „Der Simpl war hochpolitisch„, erinnert sich auch CSU-Politiker Peter Gauweiler und berichtet, wie dennoch die energische Toni es verstand, die Diskussionen stets über der Gürtellinie und in zivilisiertem Rahmen zu halten. O-Ton Gauweiler: „Schließlich wollte jeder wiederkommen.„
Toni Netzle ging dabei mit gutem Beispiel voran und suchte, obgleich politisch links eingestellt, beispielsweise den Kontakt zu Franz-Josef Strauß. Zwar lieferten sich der damalige bayerische Ministerpräsident und die schlagfertige Toni mehr als einen rhetorischen Schlagabtausch, blieben einander aber zeitlebens herzlich verbunden. Vor laufenden Kameras verriet Franz-Josef Strauß Toni sogar, dass er von ihrem Vor-Vorgänger Theo Prosel Lokalverbot auf Lebenszeit erhalten habe.

Foto aus Toni Netzles Memorien > „Mein Alter Simpl“ / Hirschkäfer Verlag
Dieser Umstand wurde natürlich in Folge schleunigst bereinigt, so dass Marianne Strauß ihre Kinder im Teenager-Alter in die Obhut des Alten Simpls geben konnte, „denn irgendwohin ausgehen müssten Kinder ja schließlich …“ Im Simpl, unter Tonis Ägide, wusste die besorgte Mutter sie gut aufgehoben.
Toni Netzles Dialogbereitschaft und gelebte Toleranz kamen jedoch nicht überall gut an. Dazu schreibt sie schmunzelnd in der Autobiografie Mein Alter Simpl :
“ (…) Gäste kamen und berichteten stotternd, um mich nicht zu verletzen, dass in jener Kneipe um die Ecke, dem »Chez Margot«, eine riesige Wandzeitung mit einem ganz fiesen Text über mich hängt. Ich sei eine »Kapitalistensau«, ein »Arbeitgeber-Bonze« und noch so einiges mehr. Eine kurze Diskussion mit Freunden und Mitarbeitern schloss sich an. Das Fazit: Mein Bruder Peter und ein Freund beschlossen, die Wandzeitung zu klauen und im SIMPL an einem besonders prominenten Platz aufzuhängen. (…)“
Das hielt aber selbst angehende RAF-Terroristen nicht davon ab, das eine oder andere Mal ihr Herz der Simpl-Wirtin auszuschütten – einige ganz und gar unrevolutionäre Tränen inklusive … Ebenso machte das politische Bonn, ganz gleich welcher Couleur, bei Besuchen in München gerne Station im Simpl, allen voran Horst Ehmke, der sich fernab der Medien, blendend mit dem damaligen CSU-Hardliner Gauweiler verstand, der privat ein ebenso kluger wie humorvoller Gesprächspartner ist.

Politisch besonders abenteuerlich gestaltete sich ein Projekt, das Journalist Peter Böhnisch, im Auftrag Axel Springers, mit Karsten Peters, dem damaligen Feuilleton-Chef der Münchner Abendzeitung austüftelte: Ein Linkes Blatt! Besprochen wurde das Projekt „top secret“ in einer von Toni Netzles Simpl-Nischen …

Was daraus wurde und wie sie an einem Vormittag im Wiener Café Demel mit den zukünftigen Protagonisten der mörderischen Lucona-Affäre in Berührung kam, wie Willy Brand im Simpl das Scheitern des Münchner SPD-Kandidaten gegen Erich Kiesl bei den Oberbürgermeister-Wahlen von 1978 voraussagte und was die Stasi im Simpl verloren hatte, sowie einige Geschichten mehr, schildert
Die Fotos und Foto-Ausschnitte des Beitrags stammen von München-Foto, Heinz Gebhardt
Das Bildmotiv „Die Elefantenrunde“ ist ein Cartoon von Dieter Olaf Klama für die Simpl-Wahlparty 1972
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9 Kommentare zu „Hochprozentig politisch im Alten Simpl – Drei Jahrzehnte Bonner Republik aus der Tresenperspektive“