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Vom Gschdanzl zum Requiem – Tonkünstlerin Michaela Dietl, Portrait und Interview

„(…) geprägt durch ihre Heimat, ist das Bayerische ihre Sprache und sie gibt ihm seine Schönheit zurück,“ schrieb Petra Finsterle, vom Club Voltaire München, über die bayerische Tonkünstlerin Michaela Dietl. Wobei die Stücke, die sie singt und spielt, fast ausschließlich aus eigener Feder stammen. An der LMU hat sie Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert, auf den Straßen Europas das Musizieren und Komponieren mit ihrem Akkordeon, das ihr in bester Familientradition schon als Kind unter den Christbaum gelegt wurde. Die härteste Entertainment­-Schule der Welt, das Trottoir, formte sie zu einer Musikerin, die, bei aller Vielfalt, ein sehr persönlicher Stil charakterisiert. Ihre künstlerische Vita umfasst inzwischen zahlreiche Musiken für Bühne, Funk und Fernsehen, neben eigenen Solo­-Programmen und CD’s eigener Lieder. Nun hat sie ein Requiem komponiert.

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Michaela Dietl, Artist Studio, März 2016

Um darüber mehr zu erfahren, traf ich mich mit Michaela Dietl  zu einem Gespräch im  Artist Studio, im Münchner Künstlerhaus. Mit ihrem Akkordeon erläuterte sie mir „live“, anhand von Hörbeispielen, ihre Arbeitsweise und künstlerische Konzeption und trug allererste Ausschnitte aus ihrem Requiem vor, wobei sie die gesamte Komposition für 16-köpfiges Akkordeonorchester, Alphorn und Sopran  in ihrem Spiel auf dem  Akkordeon  hörbar machte.

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Flyer zur Uraufführung (Tim Walter, Carola Dietl)

Umso gespannter bin ich jetzt auf die  Uraufführung ihres Requiems, am 29. Mai 2016, um 20 Uhr, in der Himmelfahrtskirche in München-Sendling.
Vorlage – und zugleich Inspiration –  für „Requiem – Gedenken in Liebe, ein Tango“ war ein Text von Felix Eder, den Michaela Dietl in Worten und Klängen zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens erweitert hat. Über die sparsam gehaltenen Liedtexte hinaus, setzt Dietl mit dem Klang ihres Akkordeon-­Ensembles ihre Vision des „Stirb und Werde“ um, punktuell ergänzt durch den Lebensatem eines Alphorns (Roswitha Pross), immer dort, wo die Komposition fast unerträglicher Tiefe bedarf, aus der sich wiederum die Gesänge zweier Sopranistinnen emporschwingen (Beatrice Greisinger und Irmengard Zehrer). Das Wissen um die Endlichkeit ihres Lebens verarbeitet Dietl in Tango-Rhythmen, die hier den „kleinen Tod“symbolisieren, als Generalprobe für den „großen Tod“. Dessen Endgültigkeit verkörpert im Finale Tänzerin Viorica Prepelita, mit einem kontrastierenden „Tanz des Lebens“.
GdS:  In der Regel verbindet man ja mit Leuten, die ein Requiem schreiben, die Klassik-Ecke und nicht Künstler_Innen, die aus der kleinen großen  Kleinkunstszene kommen, sag ich jetzt mal … Was würdest Du darauf antworten?
MD: Äh … (überlegt)
GdS: Vielleicht … „Denkt doch nicht immer in Schubladen!“ ..?

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Michaela Dietl fotografiert 2016 von Roswitha Pross

MD:  Ja, das trifft es. Ich hatte dabei immer einen Satz von Schopenhauer, von dem ich vieles nicht mag, aber für den Satz liebe ich ihn – im Kopf. Er hat gesagt: „Welcher Schmerz ist größer? Wenn du es tust oder wenn Du es nicht tust?“ Ich wusste, wenn ich das Requiem komponiere, wird das schmerzlich werden, denn dazu muss ich sehr tief in mir graben, was mir nicht leicht fallen wird, aber wenn ich es nicht tue, dann würde ich auf ewig etwas vermissen; nämlich, dass ich es nicht probiert habe. Dass ich mich, einschließlich meines Akkordeons und allem, was noch daran hängt, der Herausforderung nicht gestellt habe. Denn für mich war das Thema einfach da. Aus. Und zwar sehr privat. Und weil mein Instrument das Akkordeon ist, habe ich das Requiem also auch für dieses Instrument geschrieben.
GdS: Glaubst Du, dass weil Du von der Straßenmusik kommst, in die Komposition mehr Leben hineingeschrieben hast, als Requiem-Komponisten, die dem Elfenbeinturm der klassischen Musik entstammen?
MD: Ich hab mir halt beim Requiem vorgenommen, mich nicht irgendwelchen Erwartungen anzupassen, nach dem Motto: „Das muss jetzt alles sehr großartig sein.“ Mein Kernanliegen war: „Ich möchte die Musik fühlen.“ Daher hab ich auch nicht darauf geachtet, ob es kompliziert werden könnte, sondern überlegt: „Was passt für mich auf dem Akkordeon zum Thema ‚Requiem‘? Was spüre ich?“ Deshalb habe ich auch nicht auf einem Computer komponiert, nicht einmal die einzelnen Stimmen, sondern gleich auf dem Instrument probiert, ob der Klang passt oder nicht und dann einzelne Elemente hinzugefügt. Echt mühsam für die heutige Zeit. Aber ich wollte eben nicht technisch abliefern, einfach sagen: „Das passt dazu, da drücke ich drauf …“ Das kann man ja alles machen und es ist auch praktisch, aber für mich passt diese Arbeitsweise nicht. Für mich muss die Musik unmittelbar spielbar sein, für mich ganz alleine. Das bildet die Grundlage meiner Komposition, auch wenn in Folge mehr an Instrumenten und Gesang dazu kommt.
GdS: Würdest Du sagen, Du lebst Deinen Traum?

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Roswitha Pross bei Proben zu Michaela Dietls „Requiem“, Foto: Stießberger

MD: Dadurch, dass ich Musik mache? Ja, das würde ich schon. Dass sich der Traum aber auch verändert hat, das ist ebenfalls klar. Diese Einsicht gab und gibt mir Halt, auch während der ganzen Anstrengung des Komponierens. Ich wusste, in dem Requiem steckt Musik, die ich schon immer schreiben wollte, und bei der es darum geht, das Publikum anders zu fesseln, und einmal nicht dieser ganze  Unterhaltungs-Zirkus gefordert ist, wo man also auch einmal mit langen Tönen arbeitet … für die oft keine Ruhe vorhanden ist … die ich ganz tief in mir gehört habe.
Gds: Mit „Zirkus“ meinst Du den Bühnenzirkus?
MD: Ja und ich verstehe es auch – wenn ein Fest stattfindet, wenn von Anfang feststeht: „Jetzt muss es wieder a Gaudi werden“, dann geht man da hin und weiß worum es geht. Aber es gibt im Leben auch diese anderen Komponenten, es gibt die Traurigkeit, es gibt die Tränen, und  wenn ich diese Komponenten andauernd abspalten muss, dann drohen sie sich irgendwann zu verselbstständigen. Jetzt, mit dem Requiem, habe ich das Gefühl, dafür einen eigenen Raum geschaffen zu haben und dadurch werden auch alle anderen Facetten klarer, für mich ein sehr reinigender Prozess insgesamt.
GdS: Wenn Du sagst „reinigen“ oder auch „Requiem“, gibt es bei Dir eine Glaubenskomponente, die in die Komposition mit hinein spielt?

Das 16-köpfige Akkordeon-Orchester bei einer "Requiem"-Probe in der Himmelfahrtskirche 2016
Das 16-köpfige Akkordeon-Orchester bei einer „Requiem“-Probe in der Himmelfahrtskirche, im Mai 2016, Foto: Klaus Stießberger

MD: Also, das hat nichts mit Konfession zu tun, sondern wenn ich beispielsweise einen Teil des Requiems als „Demut“ bezeichne, dann handelt es sich einfach um die Demut vor dem Leben und damit auch um die Demut vor dem Tod. Die Blume stirbt … Das gehört halt dazu. Es gibt einen schönen Satz von Woody Allen: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte bloß nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Das finde ich super aufgelöst, mit Humor. Es gilt, die Endlichkeit anzunehmen. Mir fällt das nicht leicht. Wenn ich aber in die Natur blicke und mir deren Werdegang anschaue, dann gelingt es mir, mich ein Stück weit wieder in den Fluss hinein zu begeben, in diesen Kreislauf von „Stirb und werde“. Ich gebe zu, dass ich noch vor fünf Jahren anders gedacht habe. Und das ist ja auch eine Art von Sterben, von Vergänglichkeit – die gehört dazu. Was Altes loslassen und was Neues beginnen …


„Requiem – Gedenken in Liebe, ein Tango“, wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats der Landeshauptstadt München sowie von Lisl Funder, Kärnten

 


„Jeder Handgriff ein Gebet“ – Michaela Dietls Requiem aus Sicht ihres Kollegen Jon Michael Winkler 


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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.wordpress.com

4 Kommentare zu „Vom Gschdanzl zum Requiem – Tonkünstlerin Michaela Dietl, Portrait und Interview

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