
1981 – Der Hollywood-Streifen Southern Comfort zeigt Gemetzel ohne Ende in den Sümpfen Louisianas. Schließlich verschlägt es zwei Überlebende in eine abgelegene Ortschaft.
Hier wird nicht getötet, sondern zum Tanz aufgespielt …
Parlez nous à boire, heißt der Song, der im altertümlichen Französisch des 18 Jahrhunderts gehalten ist. Unter den Kino-Besuchern befindet sich ein junger Musiker, Schauspieler und Regisseur, Michael Bentele. Diese ihm bislang unbekannten Klänge elektrisieren ihn: Es handelt sich um Cajun-Musik der gleichnamigen, französisch-stämmigen Volksgruppe.
Die Cajuns waren ursprünglich aus Frankreich nach Kanada ausgewandert und hatten sich in einem Gebiet Neuenglands, genannt „Acadie“, niedergelassen, bis sie von den Briten vertrieben wurden. Dieser ethnischen Säuberung, später euphemistisch als Le Grand Dérangement (sinngem. „die große Umsiedlung“) bezeichnet, gedenken die Cajuns bis heute, u. a. mit dem Song 1755.
Nach Jahren der Diaspora fand sich eine Reihe akadischer Familien in Louisiana wieder zusammen, der einzig verbliebenen französischen Provinz Nordamerikas, die nach kurzer spanischer Herrschaft erneut an Frankreich ging, bevor Napoleon das Land 1803 an die USA verkaufte. Zu den indianischen Ureinwohnern waren vor den Akadiern schon andere Völker und Rassen hinzugekommen, so die ebenfalls französisch-stämmigen Creolen und deren schwarze Sklaven. Weitere Einwanderer sollten sich noch hinzugesellen. Die alte Heimat „Akadien“ verschmolz mit der neuen, Louisiana, im 20sten Jahrhundert zu einem neuen Heimatbegriff: „Acadiana“.
Fast bis Mitte des 20sten Jahrhunderts blieben die Cajuns unter sich, in kinderreichen Familien. Die isolierte Lage ihrer Häuser trug maßgeblich zum Erhalt von Sprache, Kultur und Musik bei.
Die im Hinterland lebenden Cajuns besaßen sogar bis in die 40er Jahre mehrheitlich kein Radio, kamen nicht einmal an Zeitungen. Daraus ergaben sich mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht Probleme, denn die ABC-Schützen aus den Cajun-Gemeinden sprachen kein Wort Englisch.
Dem versuchte die Regierung mit einem Französisch-Verbot auf den Schulhöfen entgegen zu wirken, ein Reglement, das von den Cajuns als demütigender Eingriff in ihre Identität empfunden wurde. Cajun-Aktivist Barry Jean Ancelet erinnert in einem erschütternden Gedicht daran: I will not speak French on the Schoolgrounds

Neben der Sprachproblematik waren es die unterpriviligierten Lebensumstände, die die Cajuns lange in eine Außenseiter-Rolle zwangen. Noch nach 1945 erklärte ein Journalist « Cajuns » als ein gutes Beispiel für « White Trash », weißen Unrat. Umgekehrt jedoch waren auch bei den Cajuns Rassendiskriminierungen Gang und Gebe und die «Jim-Crow »-Richtlinien zur Rassentrennung bis 1964 in Kraft.
Ein tragisches Beispiel für den damaligen Rassismus ist das Schicksal des farbigen Akkordeonisten Amédé Ardoin: Durch seine Auftritte mit dem weißen Cajun Geiger Dennis McGee schien er die Rassentrennung überwunden zu haben. Dennoch ranken sich um seinen Tod Legenden, die die Vorurteile jener Zeit wiederspiegeln: Ardoin soll sich nach einem Konzert den Schweiß mit einem Tuch abgewischt haben, das ihm eine weiße Zuschauerin gereicht hatte. Daraufhin soll man ihn so brutal zusammen geschlagen haben, dass er sich nie mehr richtig davon erholte. In jedem Fall verstarb Ardoin ein Jahr später. An ihn erinnert die Valse de Amédé.
1901 wurde Öl in Louisiana gefunden, ein Ereignis, dass Segen und Fluch zugleich für die Cajuns bedeuten sollte, denn das Öl spülte anglo-amerikanische Firmen in das bislang so abgeschottete Gebiet, die zwar neue Arbeitsplätze schufen, deren Kultur jedoch die der einheimischen Cajuns stark zurück drängte.Der Niedergang des Ölbooms in den 80er Jahren trug dann zu einem Exodus arbeitsloser junger Cajuns bei, die fortan ihr Glück in den Metropolen Amerikas suchten.
Erst in den 60er Jahren begann eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln.
« Cajun Power », das 1972 zum Wahlslogan des ersten Cajun-Gouverneurs avancierte, nahm seinen symbolischen Ursprung weit weg von Acadiana, beim legendären Festival von Newport, 1964.
Gemeinsam mit Topstars wie Joan Baez, Jonny Cash und Bob Dylan war erstmals auch ein Cajun Trio mit dem Geiger und Sänger Dewey Balfa geladen.
Wie die meisten Cajun-Musiker, bestritt Balfa seinen Lebensunterhalt mit einem bürgerlichen Beruf, als Schulbusfahrer und Verkäufer in einem Möbelladen. Das Festival erwischte ihn kalt: Bis dahin hatte er auf Hausbällen und Familienzusammenkünften sowie in Dancehalls musiziert, wo man nie mehr als zweihundert Leute versammelt sieht.

Anders als bei den heimischen Tanzveranstaltungen, den „Fais do do“, empfingen Balfa und sein Trio in Newport 17.000 Zuschauer, die auf die temperamentvolle Musik und die unverfälschte Spielfreude der Cajun-Musiker abfuhren. Ein neuer Musik-Trend war geboren …
Ende der 60er Jahre, im Zuge der Ablehnung des Establishments und seines Anglo-Konformismus, entdeckten junge Cajuns ihre Wurzeln wieder, unter ihnen Zachary Richard, der zu einer ebenso herausragenden, wie auch umstrittenen Figur in der Musikszene Louisianas werden sollte. Den Zeitgeist der Jugendrebellion und die Militanz, mit der er bislang den Vietnamkrieg verfolgt hatte, übertrug er nun auf die Rettung des französisch-akadischen Erbes.
« Reveille », « Wacht auf!» sang er und kombinierte traditionelle Cajun-Musikelemente mit modernem Rock. «Wacht auf, das Erbe zu retten!».
Was dieses Erbe anbelangte, so hatten der amerikanische Traum und das Heimkino längst ganze Arbeit geleistet. Die Amerikanisierung der Cajuns war in den 70er Jahren fast abgeschlossen, ironischerweise auf dem Höhepunkt ihres selbst ausgerufenen ethnischen Revivals.
Erst recht als die Yuppies dann noch die Cajun Küche für sich entdeckten. The world is sitting at Louisianas Dinner-Table titelte eine Lokalzeitschrift. Gegrillte Austern und Shrimps, Weichschalenkrabben, Froschschenkel, Schildkröten-Auflauf, Fischbouillon … Man sagt, es gäbe nichts, was die Cajuns nicht zum Verzehr in einen Kochtopf schmeißen würden. Das Ergebnis sind die berühmten Cajun – Eintöpfe «Gumbo» und « Jambalaya »
Ein „Кosher Cajun Cookbook“ kam heraus und abseits vom Kulinarischen, nahm sich eine Punk-Band der „Cajuns Twisters“ – so der Titel- an. Cajun-Style, was auch immer man darunter verstand, war nun angesagt. Die Nachfrage nach Ausflügen durch die Sumpflandschaften, den Swamps, wuchs und der Zeitgeist wehte neue Hör-Erlebnisse herbei, beispielsweise Meditationsmusik direkt aus den Sümpfen. Merchandising erledigte den weiteren Ausverkauf: Es wurden T-Shirts auf den Markt gebracht, mit aufgedruckten Comic-Crawfishes, teilweise in Kamasutra ähnlichen Posen. – Und apropos Comic:
Batman und Superman erhielten Konkurrenz aus Acadiana, von Gambit, dem Cajun und geläuterten Meisterdieb, der bevorzugt Krabbenfischern und sonstigen Landsmännern aus misslicher Lage hilft. Es wurde sogar ein Batterie betriebener Schlüsselanhänger erfunden, der sechs angeblich authentische Cajun-Sprüche auf Lager hatte, wie zum Beispiel: Oooh, I love you like a pig loves corn …
Das Original-Lebensmotto der Cajuns lautet ganz anders:
„Laissez les bon temps rouler“
„Let The Good Times Roll“ …
Dieses optimistische Motto mag den Cajuns mehr als einmal durch ihre wechselvolle Chronik geholfen haben, die ihnen oft ein hartes Schicksal bescherte. Doch obgleich sich die Widrigkeiten des Lebens in den Texten ihrer Songs wiederfinden, mutet die Musik eher fröhlich an, zum Beispiel wenn in einem Song der Mardi Gras“besungen wird, das Pendant zu unserem Faschingsdienstag.
In einem anderen alten Song geht es nach Lafayette zum Heiraten, da sich höchst selten ein Priester in die abgelegenen Bayous verirrte: Allons à Lafayette!
Dieses Lied war der erste Cajun Song der jemals veröffentlicht wurde, 1928, vom Ehe- und Musikerpaar Joe und Cleoma Falcon.
Weibliche Musikerinnen blieben in der patriarchalisch geprägten Cajun-Gesellschaft selten. Eine Cajun-Girlsband wie The Magnolia Sisters ist auch heute noch eine Ausnahme-Erscheinung.
„Magnolia Sister“ Anne Savoy ist zudem musikalische Partnerin ihres Mannes Marc Savoy. Dieser zählt zu den herausragenden Vertretern der Cajun-Szene Louisianas und ist der Akkordeon-Spieler im Film Southern Comfort…
Und an dieser Stelle schließt sich ein Kreis von über 30 Jahren „Cajun-Universum“ für Musiker Michael Bentele: Seinerzeit hatte Bentele durch den Filmauftritt von Marc Savoy in Southern Comfort sein Initiations- Erlebnis zur Cajun-Musik. Seitdem hat sie ihn nie mehr losgelassen.
Bentele ist inzwischen Mitglied und organisatorische Seele der Cajun Roosters, einer intereuropäischen All-Stars-Formation. Vor nunmehr bald 20 Jahren hat er das American Cajun, Blues und Zydeco-Festival ins Leben gerufen, zu dem sich regelmäßig Highlights aus Louisiana ansagen, 2015 u. a. Anne Savoy mit den The Magnolia Sisters!
Eine solche Festival-Zusammenarbeit hätte sich der Kino-Besucher Bentele 1981 nie träumen lassen!
Dass die Gegend im tiefsten Süden der USA ein Schmelztiegel unterschiedlichster Ethnien war, spiegelt sich auch in ihrer musikalischen Bandbreite und entsprechend im Festival wieder. Neben der Cajun Musik finden sich dort auch Zydeco und der Louisiana Blues.
Michael Bentele erläutert >
Auch 2018 ist wieder Festival-Zeit, das Programm findet sich > HIER
Kompliment. Hervorragend recherchiert. Mit Herzblut geschrieben.
Auch Zydeco – die „schwarze Variante“ wäre einen Extra-Artikel wert. Die lebendigste, humor- und lustvollste Musik die es gibt.
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