„Jeder ist anders und doch ganz normal …“
… lautet der – für mich auch als Hete (heterosexuell Veranlagte/r im Communitiy-Jargon) wünschenswerte – Wahlspruch auf einer Werbe-Postkarte der Rosa Liste, der schwul-lesbischen BürgerInnen-Initiative, die, mit Thomas Niederbühl an der Spitze, 2014 wieder für den Stadtrat kandidiert. Doch als wie normal wird, bezogen auf die sexuelle Ausrichtung, „anders sein“ heute gesellschaftlich empfunden? Nachstehend Ausschnitte aus einem Telefon-Interview, das ich am vergangenen Dienstag mit Thomas Niederbühl geführt habe sowie einige Zitate von der Homepage der Rosa Liste selbst: 1996 trat Niederbühl sein Amt als europaweit erster offen schwuler Stadtrat einer solchen Initiative an.
Was hat sich daran inzwischen regional, national und international geändert?
– „Nichts.“
Thomas Niederbühl, Münchner Stadtrat der ROSA LISTE, 2014 auf die Frage zu schwullesbischen Vertretungen in europäischen (Stadt)Parlamenten
Thomas Niederbühl ist seine Vorreiter-Stellung also bis dato geblieben. Zwar sei vieles inzwischen in Bezug auf die Gleichstellung von Schwulen und Lesben erreicht worden. Nicht zuletzt in München verzeichnet die Rosa Liste eine ganze Reihe erfolgreicher Neuerungen. Zugleich und vielleicht gerade auf Grund des Erreichten, mache sich gesellschaftlicher Gegenwind bemerkbar, Zitat Niederbühl:
(…) Es gibt (jetzt) so eine Gegenstimmung. (…) Ich hör das auch in Diskussionen, also auch mit Heterosexuellen, die sagen: „Ja früher war ich immer ganz auf Eurer Seite, weil Ihr so diskriminiert wart, aber das hat sich doch geändert, ist doch jetzt alles ganz normal, und jetzt muss auch mal wieder Schluss sein, Ihr könnt nicht immer noch mehr fordern
Stadtrat Thomas Niederbühl 2014 im Interview
Niederbühl vermutet, dass die Bestrebungen einer Gleichstellung auch in Bezug auf Ehe und Familie für Teile der Gesellschaft als auf bedrohliche Weise „too much“ empfunden werde, eine Stimmung, die sich rechte Gruppierungen inzwischen zu nutzen suchten, wie auf auch das unsägliche und inzwischen verbannte Plakat rechts zeigt, welches in den vergangenen Tagen auf Münchens Straßen viel Empörung hervorrief.
Diese öffentliche Ablehnung und die Tatsache, dass gleich mehrere Anzeigen erfolgten, spricht für eine positive Einstellung einer Mehrheit der Münchner BürgerInnen, dennoch bleibt Thomas Niederbühl besorgt und appelliert umso mehr an alle MünchnerInnen, den Urnengang nicht zu versäumen:
(…) Nur wenn man zur Wahl geht, verhindert man die Rechten, die ja massiv zugelegt haben in München, mit unterschiedlichen Gruppierungen und die jetzt auch ihre Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit in die Öffentlichkeit tragen. (…)
Was Präsenz und “ (Regenbogen)Flagge zeigen“ im Münchner Stadtleben anbelangt, so blickt der Christopher Street Day, an dem sich Schwule und Lesben feiern, auf eine lange Erfolgsgeschichte zurück, die von Thomas Niederbühl mitorganisiert wird:
„Der Christopher Street Day mit Straßenfest, Politparade, Regenbogenbeflaggung und Rathaus-Clubbing ist zu einem Highlight im Veranstaltungskalender der Stadt geworden. Dazu wurden vom Stadtrat sichere Rahmenbedingungen beschlossen. Auf unsere Bitte hat Oberbürgermeister Christian Ude 1994 die Schirmherrschaft übernommen, spricht seit 1996 und führt seit 2001 mit Rosa Liste die Parade an.“
Homepage der ROSA LISTE München, 2014
Ob denn nicht die schrille Seite dieser Veranstaltung ein sehr einseitiges Erscheinungsbild von Schwulen und Lesben vermittle, gab ich im Interview zu bedenken.
Niederbühl hielt dagegen: Natürlich würden in der Zeitung jeweils die schrillsten Moment-aufnahmen der CSD-Veranstaltungen veröffentlicht, die aber in keiner Weise repräsentativ für alle TeilnehmerInnen der Veranstaltung seien.
Neben seinen politischen Aktivitäten arbeitet Niederbühl seit 1991 als Geschäftsführer für die Münchner Aidshilfe e.V. Sein ursprünglicher Lebensentwurf hatte in eine ganz andere Richtung gezielt:
(…) Nach dem Studium der katholische Theologie, Germanistik und Philosophie in Heidelberg und München wollte ich eigentlich Gymnasiallehrer werden, doch die katholische Kirche entzog mir die Lehrerlaubnis wegen meines schwulenpolitischen Engagements. (…)
Thomas Niederbühl, 2014 auf der Homepage der ROSA LISTE Münchden
Wer mehr über den engagierten Lebensweg von Thomas Niederbühl und seine politischen MitstreiterInnen sowie Details zu Geschichte und aktuellem Programm der Rosa Liste e.V. erfahren möchte, findet alle weiterführenden Informationen auf deren Hompage >>>
www.rosaliste.de
Vielen Dank an Thomas Niederbühl für dieses Gespräch und ihm und allen MitstreiterInnen „toi, toi, toi“, damit München bunt bleibt!
NACHTRAG 2021: Zwischenzeitlich hat sich zum Glück einiges geändert in Bezug auf die Gleichstellung der LGBTQI-Community, die Ehe für alle ist eingeführt, der CSD ist zu einem szeneübergreifenden Event aller MünchnerInnen geworden und längst hat die Stadt ein Denkmal für die von den Nazis verfolgten Homesexuellen eingeweiht. Meilensteine, die zuversichtlich stimmen, dennoch sollte man sich stets vor Augen halten, dass dieses Klima einer toleranten Stadtgesellschaft ganz schnell auch wieder kippen kann.
Bereits in der Weimarer Republik wehte ein sehr liberales Lüftchen, ein erster Film über eine homosexuelle Liebesbeziehung hatte die Kino-Zensur verpasst, zwar unter dem Deckmäntelchen eines Aufklärungsfilms, aber immerhin – Lokale für Schwulen und Lesben mehrten sich … Doch quasi über Nacht, mit der Machtübergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 fand diese Liberalität ein jähes Ende. Es folgte die Internierung, Ermordung oder Kastrierung homosexueller Männer. Die Gefahr eines da capo solcher Verhältnisse lässt sich nie ganz ausschließen. ALSO: Wachsam bleiben!
Siehe dazu auch >
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